Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Regula Portillo

Fotografie und Literatur

Zu ihrem Verhältnis anhand politischer Foto-Texte: Friedrichs Krieg dem Kriege, Tucholsky/Heartfields Deutschland, Deutschland über alles und Brechts Kriegsfibel

Veröffentlichungsform: Dissertation – Institution: Universität Freiburg/Schweiz, Departement für Germanistik, Prof. Dr. Harald Fricke – Beginn: August 2009 – Art der Finanzierung: bislang privat – Kontaktadresse: regula.portillo(at)hotmail.com

Erschienen in: Fotogeschichte 118, 2010

Die Beziehungen zwischen Fotografie und Literatur sind vielfältig und vielschichtig. Der erste Teil der Forschungsarbeit beschäftigt sich mit den Fragen, wie und wo die beiden Medien aufeinandertreffen und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Das Interesse liegt ausdrücklich auf literarischen und nicht auf allgemein schriftlichen Erzeugnissen, bilden doch letztere schon den Gegenstand zahlreicher Untersuchungen. Literarische Texte hingegen, in denen die reproduzierte Fotografie als integraler Bestandteil eines Gesamtwerks verstanden wird, sind bisher weder in der Fotografie- noch in der Literaturwissenschaft auf große Beachtung gestossen.

Ein wichtiges Kategorisierungsmerkmal des intermedialen Produkts von Fotografie und Literatur ist das Kriterium der medialen Dominanzbildung. Dabei tritt die Frage nach dem Primärobjekt in den Hintergrund, wichtig ist die Unterscheidung von  ‚Texten zu Fotografien‘, ‚Fotografien zu Texten‘ und dem ‚gleichberechtigten Miteinander von Texten und Fotografien‘. Die letztgenannte Beziehungsform ist insofern interessant, als die Vereinigung zweier autonomer Elemente etwas Neues, etwas Drittes entstehen lässt. So geschehen bei den neunundsechzig Bild-Text-Kombinationen, den sogenannten Fotogrammen, in Bertolt Brechts Kriegsfibel, welche zusammen mit Kurt Tucholskys Deutschland, Deutschland über alles (mit John Heartfield) und Ernst Friedrichs Krieg dem Kriege Gegenstand des zweiten Teils dieser Forschungsarbeit bildet.

Während der Jahre im Exil hat Brecht kontinuierlich Fotos aus der vorwiegend bürgerlichen Presse gesammelt und eine Reihe davon mit Vierzeilern versehen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Fotografie, der originalen Bildlegende (soweit vorhanden) und Brechts Begleit-Versen ist charakteristisch für die Kriegsfibel. Im weiteren Sinn treten Fotografie und Vierzeiler mit der Vermischung von Text- und Bildsprache bei allen Fotogrammen in einen Dialog: Stets beeinflusst die Leseweise des Bildes diejenige des Gedichts und umgekehrt. 

Kurt Tucholsky hält sich in Deutschland, Deutschland über alles an kein festes Bild-Text-Schema, sondern wählt verschiedene Kombinationsformen von Fotografien und Gedichten, Kommentaren und Aufsätzen. Auf dem Bild der Bild-Text-Kombination mit dem Titel ‚Die Feuerwehr‘ sind beispielsweise drei Offiziere bei einer militärischen Aktion zu sehen.  Die Diskrepanz von Bild und Titel gewinnt beim Lesen des Textes an großer Bedeutung, erzählt Tucholsky doch die Geschichte einer freiwilligen Feuerwehrtruppe, die wegen mangelnder Arbeit und Existenzängsten selber Brände zu legen beginnt. Ohne das Bild beschränkte sich der Text auf ein anekdotenhaftes Ereignis, welchem keine besondere Beachtung zustünde. In Kombination mit der Fotografie vermittelt der Text eine ganz andere Botschaft: Kriege können genauso wie Brände ‚gelegt‘ und Einsätze dadurch willkürlich legitimiert werden.

Ernst Friedrichs Krieg dem Kriege verneint jegliche Legitimation für Kriege. Bereits der Titel und die ironische Widmung „Den Schlachtendenkern, den Schlachtenlenkern, den Kriegsbegeisterten aller Länder ist dies Buch freundlichst gewidmet“  geben der pazifistischen Haltung und Forderung des Werks Ausdruck. Die rund hundertachtzig Fotografien aus hauptsächlich militärischen und medizinischen Archiven Deutschlands sollen Kriegsbefürworter zum Umdenken zwingen – Hinsehen wird zur Herausforderung. Im Vergleich mit der Kriegsfibel und Deutschland, Deutschland über alles sind hier die dazugehörigen Texte von literarisch geringerem Gehalt. Während Friedrich die Fotografien und Texte größtenteils konzeptlos zusammenwürfelt, sucht Tucholsky – indem er verschiedene literarische Textformen verwendet – nach der aussagekräftigsten Form. Brecht hingegen hat die Suche abgeschlossen. Einem leitenden Bild-Text-Schema folgend, präsentiert er mit der Kriegsfibel das in sich stimmigste Werk.

Das Forschungsprojekt macht es sich neben dem in die Thematik einführenden Theorieteil zur Aufgabe, das Bild-Text-Programm der drei für das Projekt ausgewählten Werke zu analysieren und – wo immer möglich und sinnvoll – miteinander zu vergleichen.  Dabei wird das Augenmerk auf das sich dem Rezipienten präsentierende Endprodukt gelegt, welches aus der Vereinigung von literarischem Text und Fotografie entsteht.

 

Letzte Ausgaben

 

Hefte ab 150 | Siehe auch: Themen- und Stichwortsuche | Hefte und Einzelbeiträge aus dem Archiv auch als PDF bestellbar.

170

Mehr als ein Raum

Das fotografische Atelier: Kunst, Geschäft, Industrie

Anne Vitten (Hg.)

Heft 170 | Jg. 43 | Winter 2023

 
169

Vom Lichtbild zum Foto

Zur westdeutschen Fotoszene der 1950er Jahre

Clara Bolin (Hg.)

Heft 169 | Jg. 43 | Herbst 2023 

 
168

Kritik der Autorschaft

Fotografie als kollektives Unternehmen

Paul Mellenthin (Hg.)

Heft 168 | Jg. 43 | Sommer 2023 

 
167

Artist Meets Archive

Künstlerische Interventionen im fotografischen Archiv

Stefanie Diekmann, Esther Ruelfs (Hg.)

Heft 167 | Jg. 43 | Frühjahr 2023 

 
166

Schreiben über Fotografie II

Steffen Siegel, Bernd Stiegler (Hg.)

Heft 166 | Jg. 42 | Winter 202

 
165

Erinnerung, Erzählung, Erkundung

Fotoalben im 20. und 21. Jahrhundert

Bernd Stiegler, Kathrin Yacavone (Hg.)

Heft 165 | Jg. 42 | Herbst 2022

 
164

Zirkulierende Bilder

Fotografien in Zeitschriften

Joachim Sieber (Hg.)

Heft 164 | Jg. 42 | Sommer 2022

 
163

Black Box Colour

Kommerzielle Farbfotografie vor 1914

Jens Jäger (Hg.)

Heft 163 | Jg. 42 | Frühjahr 2022

 
162

Den Blick erwidern

Fotografie und Kolonialismus

Sophie Junge (Hg.)

Heft 162 | Jg. 41 | Winter 2021

 
161

Norm und Form

Fotoalben im 19. Jahrhundert

Bernd Stiegler, Kathrin Yacavone

Heft 161 | Jg. 41 | Herbst 2021

 
160

Keepsake / Souvenir

Reisen, Wanderungen, Fotografien 1841 bis 1870

Herta Wolf, Clara Bolin (Hg.)

Heft 160 | Jg. 41 | Sommer 2021

 
159

Weiterblättern!

Neue Perspektiven der Fotobuchforschung

Anja Schürmann, Steffen Siegel (Hg.)

Heft 159 | Jg. 41 | Frühjahr 2021

 
158

Die Zukunft der Fotografie

Anton Holzer (Hg.)

Heft 158 | Jg. 40 | Winter 2020 

 
157

Fotogeschichte schreiben. 40 Jahre Zeitschrift Fotogeschichte

Anton Holzer (Hg.)

Heft 157 | Jg. 40 | Herbst 2020 

 
156

Aquatische Bilder. Die Fotografie und das Meer

Franziska Brons (Hg.)

Heft 156 | Jg. 40 | Sommer 2020 

 
155

Wozu Gender? Geschlechtertheoretische Ansätze in der Fotografie

Katharina Steidl (Hg.)

Heft 155 | Jg. 40 | Frühjahr 2020

 
154

Protestfotografie

Susanne Regener, Dorna Safaian, Simon Teune (Hg.

Heft 154 | Jg. 39 | Winter 2019

 
153

Fotografie und Text um 1900

Philipp Ramer, Christine Weder (Hg.)

Heft 153 | Jg. 39 | Herbst 2019

 
152

Fotografie und Design

Linus Rapp,  Steffen Siegel (Hg.)

Heft 152 | Jg. 39 | Sommer 2019

 
151

Nomadic Camera

Fotografie, Exil und Migration

Burcu Dogramaci, Helene Roth (Hg.)

Heft 151 | Jg. 39 | Frühjahr 2019

 
150

Polytechnisches Wissen

Fotografische Handbücher 1939 bis 1918

Herta Wolf (Hg.)

Heft 150 | Jg. 38 | Winter 2018