Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Roberto Zaugg

Zwischen hegemonialem Blick und subalternem Zurückschauen

Joachim Zeller: Weisse Blicke – Schwarze Körper. Afrikaner im Spiegel westlicher Alltagskultur, Sutton Verlag, Erfurt 2010, 23 x 25 cm, 250 S., 300 Abb. in Farbe, 100 in S/W, gebunden, 34,90 Euro

Erschienen in: Fotogeschichte 121, 2011

Joachim Zeller führt seine Leser durch die vielfältigen und nicht widerspruchsfreien Mäander des populären Bildarchivs zum kolonialen Afrika. Im Mittelpunkt stehen dabei die mit Druckgrafiken und Fotografien illustrierten Postkarten der Sammlung von Peter Weiss: Ein überaus reicher Fundus, der mit anderen Bildmedien wie Plakaten, Buch- und Zeitschriftenillustrationen, Reklamebilder und Comics ergänzt wird.

Ausgehend von diesem empirischen Material und von den nunmehr zahlreichen Arbeiten, die im Zuge des visual turns und der postkolonialen Studiendie Rolle von Bildmedien im europäischen Imperialismus dekonstruiert haben, bietet die Einführung eine konzise Darlegung von zentralen Problematiken kolonialer Bilderwelten. Das konstitutive Element letzterer war eine immer wiederkehrende Dichotomisierung zwischen „Schwarz“ und „Weiss“, „zivil“ und „wild“, „modern“ und „primitiv“, durch welche Hierarchien und Grenzen produziert wurden. Zeller unterstreicht, dass diese Bilder meist weit mehr über die Vorstellungen der Produzenten und des Zielpublikums aussagten, als über die abgebildeten Menschen. Die nicht selten manipulativ inszenierten Bilder konstituierten in diesem Sinne einen Akt der Aneignung und Dominanz kolonialisierter Gesellschaften, mit welchem letztere in europäische Wissensordnungen eingefügt wurden. Ihre Reproduktion auf dem Zirkulationsmedium der Postkarte nährte bei den Bewohnern der Metropolen eine emotionale und ideologische Teilnahme am imperialen Projekt und partizipierte so an der Schaffung der zeitgenössischen mental maps.

Im Einklang mit einer jüngeren Tendenz innerhalb der postkolonialen visual studies hebt Zeller hervor, dass es verfehlt wäre, diese Bilder einzig als hegemonialen Ausdruck imperialer Dominanz zu lesen. Bürstet man diese Quellen gegen den Strich, wird nämlich deutlich, dass in ihnen durchaus eine subalterne agency zum Ausdruck kommen kann. Aufgrund des Zurückschauens (counter gaze) der Kolonisierten, lässt sich letzteren z.T. eine Mitautorschaft an diesen Medien zuweisen. Der weiße Fotograf hat nicht immer die alleinige Kontrolle über die Semantik seiner Bilder. Bei einigen Fotos kann man gar von Zeichen des Widerstandes sprechen, wie etwa im Falle des kongolesischen Mädchens, das sich unmissverständlich dem Blick der Kamera entzieht (Coverabbildung). In anderen Fällen folgte die Subversion dem subtileren Weg der Zweideutigkeit – wie z.B.  in „After dinner“, in welchem der weisse Hohn über Schwarze mit einer schwarzen Ironie über Weisse zu koexistieren scheint.

Die 400 Bilder sind in 18 thematische Kapitel geordnet, die durch kurze Texte eingeführt werden. Bei der Ordnung des Materials greift Zeller in verschiedener Hinsicht auf aktuelle kulturwissenschaftliche Debatten zurück. Er diskutiert die Herstellung kolonialer Räume durch visuelle Medien; die Konstruktion des Weißseins, welche von den vornehmlich angelsächsischen whiteness studies analysiert wird; die Angst vor europäisch-afrikanischen Liebesbeziehungen und der verpönten „miscegenation“; die verhöhnende Abwehr gegen jegliche Form von symbolischer Grenzüberschreitung – man denke etwa an die potentiell subversive Aneignung westlicher Kleidung durch Afrikaner und an die vielleicht deshalb so obsessive Verhöhnung dieser Praktiken, die konstant als infantiles „Nachäffen“ diskreditiert wurden. Andere Kapitel sind spezifischen politischen Konjunkturen gewidmet. Neben den Kampagnen gegen die schwarzen Soldaten der Entente-Mächte und den Bildern, die im Zuge der kolonialen Nostalgie der Zwischenkriegszeit entstanden, werden auch die Produkte antikolonialer und antirassistischer Bewegungen ausgelotet und die visuellen Affirmationsmedien verschiedener Generationen von Afro-Deutschen präsentiert. Letztere eröffnen ein neues Blickfeld und in vielen Fällen sprengen sie eigentlich den Untersuchungsrahmen der „weissen Blicke“ auf „schwarze Körper“. Nichtsdestotrotz bieten gerade auch diese Kapitel einen wichtigen Beitrag zum Buch. Sie zeigen nämlich, dass es neben dem strikt kolonialen Bildarchiv in Europa auch andere ikonologische Traditionen zu „Afrika“ gibt, die z.T. wesentlich älter sind, als man gemeinhin annehmen könnte.

Das Buch hat nicht den Anspruch eine detaillierte Analyse aller publizierten Bilder zu liefern. Die interpretativen Zugänge werden in der Einführung sowie in den kurzen Kapiteltexten zusammengefasst. Ergänzend sind unter den Bildbeschriftungen kurze Kommentare und Erläuterungen des Autors angefügt. Diese Wahl ist insofern erfreulich, als dass sie mehr Platz für die Bilder geschaffen hat.

Es mag also an dieser bilderfreundlichen Limitierung des Textes liegen, dass einige Fragen etwas unterbelichtet bleiben. Dem individuellen Gebrauch dieser Medien, der primär in der Beschriftung der Postkarten durch ihre Käufer zum Ausdruck kommt, wird z.B. kaum Achtung geschenkt, obwohl es gerade diese Schreib- und Sende-Praktiken waren, die das serielle Massenmedium in Zirkulation brachten und z.T. deren Semantik anreicherten bzw. veränderten. Ein weiter Punkt, der nur ungenügend thematisiert wird, ist die Beziehung zwischen fotografischem Material und typographisch reproduzierten Zeichnungen. Das Buch verdeutlicht zwar auf überzeugende Weise, dass beide Medien zum selben populären Bildarchiv zusammenflossen. Die unterschiedlichen Eigenheiten der beiden Typen bleiben aber im Schatten. Im Bezug auf die co-authorship der Kolonisierten müsste z.B. gefragt werden, ob und inwiefern diese bei nicht-fotografischen Medien überhaupt möglich ist. Lassen sich bei von europäischen Grafikern entworfenen Reklamebildern überhaupt Spuren einer subalternen agency erkennen? Können Comic-Figuren einen counter gaze entfalten? Und wenn nicht, wäre dann nicht eine theoretisch klarer ausgedrückte Distinktion von Nöten? Des Weiteren hätten wohl auch die transmedialen Transferprozesse eine eingehendere Diskussion verdient. Wie bekannt ist, entlehnten europäische Illustratoren für ihre grafischen Produkte oft fotografische Vorlagen. Umgekehrt wäre es interessant zu wissen, ob auch Motive von Zeichnungen in (inszenierte) Fotografien wanderten. In dieser von vorgefertigten Topoi aufgeladenen Bilderwelt wäre dies wahrscheinlich nicht auszuschliessen.

Wie auch diese kritischen Anmerkungen verdeutlichen wollen, bietet Zellers Buch dem Leser eine Vielzahl von Stimuli an, die zum selbstständigen (Weiter)Denken anregen. Dank der reichhaltigen Materialpräsentation stellt das Werk nicht nur eine gelungene wissenschaftliche Publikation dar, sondern konstituiert zugleich auch eine wertvolle Quellenedition für weiterführende Forschungen und ein äußerst nützliches Instrument für den schulischen und universitären Unterricht.

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