Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Steffen Siegel

Die selbstbewusste Fotografie. Editorial

Erschienen in: Fotogeschichte 129, 2013

»Es gibt«, so stellte Rolf H. Krauss fest, »keine eigene Theorie der Lithographie, der Kreidezeichnung oder des Siebdrucks, weil keine Notwendigkeit dafür besteht.« Sehr wohl aber, so lässt sich ergänzen, gibt es eine Theorie der Fotografie – und ganz augenfällig besteht hierzu große Notwendigkeit. Seit dem Erscheinen von Krauss’ Buch Photographie als Medium, das im Untertitel 10 Thesen zur konventionellen und konzeptionellen Photographie ankündigt, sind inzwischen mehr als dreißig Jahre vergangen. Und gerade dies ist auch die Zeit, in der einer ohnehin nur noch schwer überschaubaren Vielzahl theoretischer Auseinandersetzungen mit dem Fotografischen unzählige weitere hinzugefügt worden sind. Kein Wunder also, dass seit Längerem schon zusammenfassende Kompendien zur Theorie der Fotografie geschrieben werden.

Nimmt man die Fotografie ernst, das heißt bei ihrem Namen, so wird aber gerade diese Fülle von Theorien und inzwischen sogar Metatheorien kaum erstaunen können. Hat dieses Medium doch noch in seinem ersten öffentlichen Jahr, 1839, eine der zentralen Metaphern der Philosophie – das Licht – in seinen Namen aufgenommen. Und eben so lange schon wird den fotografischen Bildern die Fähigkeit zugesprochen, ein besonderes Verhältnis zu der ihnen vorgängigen Wirklichkeit ausbilden zu können. Spätestens in William Henry Fox Talbots The Pencil of Nature (1844–1846) haben solche Annahmen den Charakter einer bloß beiläufigen und wenig reflektierten Zuschreibung hinter sich gelassen und sind zu einer ernst zu nehmenden medientheoretischen These aufgestiegen.

Von Anbeginn war die Medientheorie des Fotografischen keine Sache des sprachlich verfassten Diskurses allein. Schon ein flüchtiger Blick in Talbots Pencil genügt, um zu wissen, welch entscheidende Bedeutung dem fotografischen Bild selbst in der theoretischen Auseinandersetzung um seine Eigenarten und Qualitäten, Möglichkeiten aber auch Grenzen zukam. Mit Bildern über Bilder zu argumentieren blieb seither eine zentrale Strategie der Fototheorie. Unter Variation des Titels der maßgebenden Studie Das selbstbewusste Bild. Vom Ursprung der Metamalerei (auf deutsch 1998 erschienen) sollen die fünf Beiträge dieses Themenheftes an die von Victor I. Stoichita aufgeworfenen Fragen einer Verständigung über Bilder in Bildern anschließen und danach fragen, was bildanalytische Fotografie sein kann und was sie leisten soll. Die Frage ist zu groß und das Feld ist zu weit, um hierauf erschöpfend Auskunft geben zu können. Daher beschränken sich die Beiträge auf die Zeit seit den 1960er Jahren.

In den Blick gelangen hierbei wichtige künstlerische Positionen, die sich selbst als ,bildanalytisch‘ verstanden haben: Mel Bochner und Jan Dibbets gehören hierzu, aber auch Christopher Williams, Ugo Mulas und Timm Rautert. Befragt werden aber auch künstlerische Fotografien von Tue Greenfort, Edgar Lissel, Harald Fuchs oder Wolfgang Tillmans, deren Werke bislang noch nicht in diesem Kontext untersucht worden sind. Wie entscheidend bildanalytischen Verfahren der Fotografie aber nicht zuletzt auch außerhalb der Fotokunst bereits seit Langem sind, zeigt ein Untersuchung visueller Strategien der Selbstrepräsentation der Polaroid Corporation. Entscheidendes Moment all dieser Ansätze ist eine Argumentation über die Fotografie, die in eben diese Bilder verlegt und durch diese selbst geführt wird. In Frage steht hierbei die Theoriefähigkeit der Fotografie in eigener Sache.

Die bildanalytische Kraft der Fotografie ernst zu nehmen, muss daher beinahe zwangsläufig bedeuten, wenigstens in einem Beitrag die in einer wissenschaftlichen Zeitschrift übliche Rangordnung von Text und Bild umzukehren. Das Portfolio, das jüngst entstandene Arbeiten des Leipziger Fotokünstlers Adrian Sauer zeigt, stößt die Tür zur digitalen Bildlichkeit weit auf und erweitert das Nachdenken über die Bildanalytische Fotografie mit Nachdruck um diese neuen technologischen Bedingungen des Mediums. Sauers Arbeiten sind hierbei gewiss das anschaulichste Argument, gerade jene Sichtbarkeit, die die ,theoria‘ ihrem griechischen Wortsinn nach immer schon in Namen führt, sehenden Auges ernst zu nehmen.

Das Portfolio der künstlerischen Arbeiten farbig zu drucken, wurde durch die großzügige Unterstützung der Galerie Klemm’s Berlin ermöglicht. Der Herausgeber dankt hierfür sehr herzlich!

Letzte Ausgaben

 

Hefte ab 150 | Siehe auch: Themen- und Stichwortsuche | Hefte und Einzelbeiträge aus dem Archiv auch als PDF bestellbar.

171

Verletzte Bilder

Anton Holzer, Elmar Mauch (Hg.)

Heft 171 | Jg. 44 | Frühjahr 2024

 
170

Mehr als ein Raum

Das fotografische Atelier: Kunst, Geschäft, Industrie

Anne Vitten (Hg.)

Heft 170 | Jg. 43 | Winter 2023

 
169

Vom Lichtbild zum Foto

Zur westdeutschen Fotoszene der 1950er Jahre

Clara Bolin (Hg.)

Heft 169 | Jg. 43 | Herbst 2023 

 
168

Kritik der Autorschaft

Fotografie als kollektives Unternehmen

Paul Mellenthin (Hg.)

Heft 168 | Jg. 43 | Sommer 2023 

 
167

Artist Meets Archive

Künstlerische Interventionen im fotografischen Archiv

Stefanie Diekmann, Esther Ruelfs (Hg.)

Heft 167 | Jg. 43 | Frühjahr 2023 

 
166

Schreiben über Fotografie II

Steffen Siegel, Bernd Stiegler (Hg.)

Heft 166 | Jg. 42 | Winter 202

 
165

Erinnerung, Erzählung, Erkundung

Fotoalben im 20. und 21. Jahrhundert

Bernd Stiegler, Kathrin Yacavone (Hg.)

Heft 165 | Jg. 42 | Herbst 2022

 
164

Zirkulierende Bilder

Fotografien in Zeitschriften

Joachim Sieber (Hg.)

Heft 164 | Jg. 42 | Sommer 2022

 
163

Black Box Colour

Kommerzielle Farbfotografie vor 1914

Jens Jäger (Hg.)

Heft 163 | Jg. 42 | Frühjahr 2022

 
162

Den Blick erwidern

Fotografie und Kolonialismus

Sophie Junge (Hg.)

Heft 162 | Jg. 41 | Winter 2021

 
161

Norm und Form

Fotoalben im 19. Jahrhundert

Bernd Stiegler, Kathrin Yacavone

Heft 161 | Jg. 41 | Herbst 2021

 
160

Keepsake / Souvenir

Reisen, Wanderungen, Fotografien 1841 bis 1870

Herta Wolf, Clara Bolin (Hg.)

Heft 160 | Jg. 41 | Sommer 2021

 
159

Weiterblättern!

Neue Perspektiven der Fotobuchforschung

Anja Schürmann, Steffen Siegel (Hg.)

Heft 159 | Jg. 41 | Frühjahr 2021

 
158

Die Zukunft der Fotografie

Anton Holzer (Hg.)

Heft 158 | Jg. 40 | Winter 2020 

 
157

Fotogeschichte schreiben. 40 Jahre Zeitschrift Fotogeschichte

Anton Holzer (Hg.)

Heft 157 | Jg. 40 | Herbst 2020 

 
156

Aquatische Bilder. Die Fotografie und das Meer

Franziska Brons (Hg.)

Heft 156 | Jg. 40 | Sommer 2020 

 
155

Wozu Gender? Geschlechtertheoretische Ansätze in der Fotografie

Katharina Steidl (Hg.)

Heft 155 | Jg. 40 | Frühjahr 2020

 
154

Protestfotografie

Susanne Regener, Dorna Safaian, Simon Teune (Hg.

Heft 154 | Jg. 39 | Winter 2019

 
153

Fotografie und Text um 1900

Philipp Ramer, Christine Weder (Hg.)

Heft 153 | Jg. 39 | Herbst 2019

 
152

Fotografie und Design

Linus Rapp,  Steffen Siegel (Hg.)

Heft 152 | Jg. 39 | Sommer 2019

 
151

Nomadic Camera

Fotografie, Exil und Migration

Burcu Dogramaci, Helene Roth (Hg.)

Heft 151 | Jg. 39 | Frühjahr 2019

 
150

Polytechnisches Wissen

Fotografische Handbücher 1939 bis 1918

Herta Wolf (Hg.)

Heft 150 | Jg. 38 | Winter 2018