Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Anton Holzer

Der Weltkrieg der Bilder. Editorial

Erschienen in: Fotogeschichte, 130, 2013

2014 jährt sich der Beginn des Ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal. Zahlreiche Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema sind angekündigt. Die Nachfrage nach Bildern des Krieges ist bereits im Vorfeld dieser Ereignisse groß. Fast in jeder Ausstellung werden Kriegsaufnahmen gezeigt. Eines ist aber erstaunlich: jenes Medium, das der Fotografie in den Jahren 1914 bis 1918 die größte Öffentlichkeit lieferte, das wie kein anderes die Kriegsereignisse nicht nur schilderte, sondern für eine größere Öffentlichkeit bündelte und propagandistisch zuspitzte, wird – soweit ich sehe – in keiner einzigen Ausstellung explizit und gründlicher betrachtet. Gemeint ist die illustrierte Presse bzw. die Pressefotografie.

Umso mehr freut es mich, dass das vorliegende Themenheft einen wirklich neuen, bisher kaum erforschten Beitrag zur Bild- und Fotogeschichte des Krieges leisten kann. Ulrich Keller, einer der international renommiertesten Fotohistoriker, hat in jahrelanger Recherchearbeit die Geschichte, Produktion und Funktionsweise der medialen Bildberichterstattung im Ersten Weltkrieg analysiert und stellt hier erstmals in zwei umfangreichen, reich bebilderten Aufsätzen die Quintessenz seiner Forschungen vor. Man kann jetzt schon voraussagen, dass diese beiden Texte bald schon Referenzpunkte für jede weitere Forschung zum Thema Krieg, Bilder und Propaganda in den Jahren 1914 bis 1918 bilden werden.

Was ist nun das Neue, das Bahnbrechende an seinem Zugang? Zunächst: Ulrich Keller tat etwas, was in der Erforschung der Geschichte und Funktionsweise von Kriegsbildern jahrzehntelang nicht getan wurde. Nämlich die originalen Veröffentlichungskontexte, in denen die zeitgenössischen Bilder erschienen, ernst zu nehmen. Ein Großteil der Kriegsbilder, die sich als Ikonen des Krieges in unseren Köpfen festgesetzt haben, war, so argumentiert er, zur Kriegszeit gar nicht veröffentlicht worden oder nur einem eingeschränkten Publikum zugänglich. Wenn man die Bildwelt des Krieges rekonstruieren will, ist es also unbedingt notwendig danach zu fragen, welche Bilder zwischen 1914 und 1918 an die Öffentlichkeit kamen und in welcher Form sie veröffentlicht wurden.

Die Wochenillustrierten waren zwischen 1914 und 1918 – neben dem Film, dem Plakat, der Karikatur etc. – das bei weitem wichtigste Bildmassenmedium, das auch in der Kriegspropaganda eine zentrale Rolle spielte. In der bisherigen Forschung aber hat man sich aber erstaunlicherweise kaum mit der Bildpresse beschäftigt, sondern häufig einzelne Abbildungen herausgegriffen ohne den ursprünglichen Entstehungs- und Veröffentlichungskontext genauer zu beachten. Keller durchforstete in den letzten Jahren tausende und abertausende Zeitungs- und Zeitschriftenseiten, um an ihnen die Funktionsweise und Logik der bildlichen Kriegsberichterstattung zu studieren. Zweitens: Er griff dabei nicht nur die Fotoberichte heraus, sondern analysierte das gesamte Spektrum an Bildern, er interessierte sich also auch für die spannenden Querverbindungen zwischen den Bildmedien, etwa zwischen Fotografie, Zeichnung und Grafik. Drittens – und auch das ist neu und in Sachen fotohistorische Weltkriegsforschung ohne nennenswertes Vorbild – wählte er einen konsequent internationalen Zugang und verglich die Bilderstattung in unterschiedlichen Ländern miteinander. Auf diese Weise kamen bisher kaum bekannte Unterschiede in Medienstrategie, Zensur und propagandistischer Bildberichterstattung ans Licht. Viertens legte er sein Augenmerk nicht nur auf Einzelbilder, sondern auf Bildensembles, Bildserien und die komplexen Zusammenhänge zwischen Text und Bild. In diesem Zusammenhang spielt die zu Beginn des Jahrhunderts noch junge Form der Erzählung in Bildern, die Bildreportage, eine wichtige Rolle.

Es ist für die Zeitschrift Fotogeschichte ungewöhnlich, dass ein einziger Autor ein gesamtes Themenheft bestreitet. Das inhaltliche Gewicht der Beiträge, der Umfang und die Qualität des bildlichen Materials rechtfertigen aber eine derartige Zusammenstellung ohne weiteres. Die vorliegende Ausgabe ist auch deutlich umfangreicher als gewohnt. Dass sie dennoch zum gleichen Preis wie bisher angeboten werden kann, ist einer Födererin zu danken, die anonym bleiben will.

Den Abschluss dieses Heftes bilden zwei Beiträge, die sich – in Form einer Debatte – mit einem bekannten Berliner Fotografen der Jahrhundertwende, Heinrich Zille, beschäftigen. Während Detlef Zille (der nicht mit Heinrich Zille verwandt ist) in seinem Text bezweifelt, dass Zille überhaupt selbst als Fotograf tätig gewesen sei, bringt Pay Matthis Karstens in seiner Entgegnung neue interessante Belege vor, die die fotografische Tätigkeit Zilles zu untermauern helfen. Zwei diametral entgegengesetzte Thesen, detailliert und anhand zahlreicher Beispiele und Indizien vorgetragen: auch das ist Fotografiegeschichte. Bilden Sie sich selbst eine Meinung!

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