Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Jordan Todorov

"Hey, das wäre ein Wahnsinnsbild, Herr Bundeskanzler!“

Gespräch mit dem Fotografen Will McBride (1931–2015)

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 136, 2015

Der amerikanische Künstler und Fotograf Will McBride kam in den 1950er Jahren nach Berlin. Er verliebte sich in die Stadt und wurde ein bekannter Chronist der Adenauer-Ära und der Swinging Sixties. In seinem letzten langen Interview lässt McBride sein bewegtes Leben und seine Arbeit als Fotograf Revue passieren. Er starb am 29. Januar 2015 in Berlin.

Will McBride wurde 1931 in St. Louis, Missouri, geboren, er studierte Malerei, unter anderem beim unter dem berühmten amerikanischen Maler und Illustrator Norman Rockwell, dann Kunst in New York und kam schließlich 1953 als Soldat nach Deutschland, wo er hängenblieb. Er arbeitete als freischaffender Fotograf, zunächst in Berlin und ab 1961 in München. Er fotografierte für zahlreiche Illustrierte, u.a. auch für die legendäre Zeitschrift Twen. McBride fotografierte Stars wie Alberto Moravia, Romy Schneider, Donna Summer und Andy Warhol, aber zahlreiche Unbekannte. Bekannt wurde er u.a. für seine einfühlsamen  Fotoporträts junger männlicher Erwachsener. Immer wieder eckte er mit seinen freizügigen Inszenierungen an und geriet in Konflikt mit Kirche und Behörden. Nach beruflichen und privaten Krisen zog sich McBride 1972 in die Toskana zurück und wandte sich wieder der Malerei und der Bildhauerei zu. 1983 zog er erneut nach Deutschland und kehrte zur Fotografie zurück. Zunächst eröffnete er ein Atelier in Frankfurt, später in Berlin. Seine letzte Ausstellung war eine seiner wichtigsten. Am 30. Oktober 2014 eröffnete im Amerika Haus in Berlin, dem neuen Standort von C/O Berlin, die Schau: „Will McBride. Ich war verliebt in diese Stadt“. Gezeigt wurden rund hundert Aufnahmen, die der Fotograf zwischen 1956 und 1963 in Berlin aufgenommen hatte. McBride hattet 1957 die erste Fotoausstellung im Amerika Haus bestritten, nun kehrte er als über 80-Jähriger mit seinen damaligen Bildern in diese Räume zurück. Ende Januar 2015, wenige Tage nach dem Ende der Schau, starb Will McBride.

Jordan Todorov: Ich finde es interessant, dass Sie in den 50er Jahren eine Ausstellung Ihrer Fotos im Amerika Haus gezeigt haben, kurz nachdem dieses eröffnet wurde. Jetzt, fast 60 Jahre später, wurde das bekannte Ausstellungshaus C/O Berlin, das vor kurzem in das ehemalige Amerika Haus zog, neuerlich mit Ihren Fotos eröffnet …

Genau deshalb wollte ich die Ausstellung im Amerika Haus haben. Denn ich war der erste, der dort im Jahr 1957 ausstellte ...

Sie sind hauptsächlich als Fotograf bekannt, aber Sie sind auch Maler und Bildhauer. Sie haben sehr früh angefangen zu zeichnen…

Ich war noch ein kleiner Junge als ich mit 11 Jahren jeden Samstag Morgen ins Art Institute of Chicago ging. Und ich habe eine Sondererlaubnis meiner Eltern bekommen, Aktmodelle zu zeichnen. Ich liebte es, die Muskeln und Knochen zu studieren, die Bewegungen des menschlichen Körpers. Ich hatte dort eine tolle Zeit. Dann zogen wir nach Detroit und ich ging an den Wochenenden in die Detroit Society of Arts and Craft. Meine Eltern wollten aber nicht, dass ich Kunst studierte, sondern Englisch und Literatur. Sie hatten Angst, dass ich als Künstler nicht genug Geldverdienen und ihnen ein Leben lang zur Last fallen würde. Aber dann lernte ich den berühmten amerikanischen Künstler Norman Rockwell kennen und er war von meiner Arbeit begeistert.

War Rockwell eine Art Vaterfigur für Sie?

Er war mehr als ein Vater! Für mich war Rockwell  ein Gott! Ich habe ihn geliebt. Ich war  überglücklich, einen Sommer lang mit ihm und anderen Kunststudenten verbringen zu können. Wir wohnten in einem Schulgebäude direkt vor Normans Haus. Ich habe malen gelernt, mein erstes Ölgemälde habe ich in diesem Sommer gemalt. Jahre später, in den frühen 60er Jahren, habe ich Norman wieder in seinem Haus in Stockbridge, Massachusetts, besucht. Ich habe ihm Bilder gezeigt, die ich hier in Berlin gemalt hatte. Diese waren weit von seinem realistischen Stil entfernt, denn ich war von den Expressionisten wie Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner und Käthe Kollwitz beeinflusst. Er sagte: "Nun, Will, es ist gut zu sehen, dass Sie zu fotografieren begonnen haben.” Im Grunde genommen wollte er damit sagen, dass meine Bilder Scheiße waren. (lacht)

Ich habe in der Biografie über Norman Rockwell gelesen, dass er Sie als Genie anhimmelte und Sie immer nur mit dem Abwasch wegkamen. Ist das wahr?

Daran erinnere ich mich nicht. (lacht). Es gab in diesem Sommer mehrere Studenten aus New York und wir haben zusammen gelebt und gearbeitet. Jeder hatte seine eigene Staffelei und Norman kam am Nachmittag vorbei, nicht jeden Tag, aber manchmal, um die Arbeit zu betrachten und Kommentare abzugeben. Nach diesem Sommer ging ich nach New York, um Zeichnung und Malerei an der National Academy of Design zu studieren, zusammen mit Jerry – dem ältesten Sohn von Norman. Dann kam der Korea-Krieg. Ich ging an die Syracuse Universität, um nicht zur Army eingezogen zu werden. Ich habe eine Reserveoffiziersausbildung abgeschlossen. Auf diese Weise wurde ich Reserveoffizier und wurde nach Würzburg in Deutschland geschickt.

Sie hatten Glück, dass Sie nicht nach Korea mussten …

Ich wollte dort nicht getötet werden. Viele von meinen Klassenkameraden aus der High School starben in Korea. Ich habe ungefähr zwei Jahre in der Armee verbracht. Als ich herauskam, kaufte ich mir ein Fahrrad und fuhr über die Alpen nach Venedig und dann nach Florenz. Ich hatte eine tolle Zeit in Florenz. Ich habe in einer Jugendherberge gewohnt und dort einen schönen Jungen namens Jan Bassenge getroffen, mit dem ich immer noch befreundet bin. Sollte ich jemals nach Berlin kommen, meinte Jan, solle ihn anrufen und das habe ich dann auch getan. Ich wollte nicht nach München – ich habe das Bier nicht gemocht, und auch nicht die Art wie die Leute redeten ... So ich fuhr nach Berlin und fing mit meinem Studium der Amerikanischen Literatur an der Freien Universität an. Ich sprach anfangs kein einziges Wort Deutsch können. Gewohnt habe ich bei Jans Eltern.

Sie haben Ihre deutsche Frau in Berlin kennengelernt.

Barbara [Wilke] habe ich im Jahr 1959 kennen. Ich wurde gebeten, Fotos von ihr für eine Modestrecke zu machen. Und habe mich sofort in sie verliebt. Wir trafen uns zum Mittagessen in der berühmten Paris Bar. Aber die war zu. Nebenan war ein zerstörtes Haus, in dem wir einige Zeit verbrachten. Dann hatten wir ein sehr langes Mittagessen mit ein paar Gläsern Wein und wir haben einander unsere Geschichten erzählt. Noch am selben Nachmittag rief ich eine Freundin von mir an und sagte ihr, dass ich meine zukünftige Frau getroffen habe. Ich fand Barbara hinreißend.

Wie war es damals in der Frontstadt des Kalten Krieges zu leben?

Es war cool! Abends gingen in die vielen Jazzkeller, etwa in die berühmte Eierschale. Der Chicago- und der New-Orleans-Jazz war damals groß in Mode. Ich hatte das Banjo meines Vaters spielte ab und zu ich in einer Band mit dem Namen The Salty Dogs. Aber ich war kein sehr guter Musiker. Und in einem Moment der Verzweiflung zerbrach das Banjo. Ich nahm es mit nach Tübingen, um es bei einem Geigenbauer reparieren zu lassen. Aber ich kam nie wieder in Tübingen, das Instrument bekam ich nie wieder zurück. Wer weiß, vielleicht ist es immer noch dort ...

Als Musiker hatten Sie also nicht viel Glück, aber als Fotograf waren sie erfolgreich. Wie kam es zu Ihrer Entscheidung, Fotograf zu werden?

Entscheidend für mich war definitiv das Buch This is war! A Photo-Narrative of the Korean War, das der amerikanische Kriegsfotograf David Douglas Duncan 1951 veröffentlichte. Ich war so beeindruckt, dass ich den Autor besucht habe. Ich fuhr per Anhalter nach Cannes in Frankreich, wo er lebte. Ich traf ihn und ich war begeistert. Er mochte meine Arbeit und wir sind seitdem befreundet.

In den späten 50er Jahren haben Sie für die westdeutsche Zeitschrift Quick gearbeitet und mehrmals Konrad Adenauer, den ersten deutschen Nachkriegskanzler, fotografiert. Wenn man diese Bilder betrachtet, wird deutlich, dass Sie eine besondere Verbindung hatten…

Wir haben uns sehr gut verstanden. Es machte Spaß, in seiner Nähe zu sein. Er war ein sehr charmanter und meist fröhlicher Mensch und so streng, wie er in den Medien oft dargestellt wird. Ich werde nie vergessen, wie ich ihn eines Tages fragte: "Was tun Sie als erstes, wenn Sie morgens aufstehen?" und er antwortete: “Ich stecke meine Füße in eine Wanne mit kaltem Wasser. "Ich sagte: "Hey, das wäre ein Wahnsinnsbild, Herr Bundeskanzler!“ Er antwortete mit einem Augenzwinkern: "Bestimmt, aber diese Bild  werden wir nicht machen!” (lacht)

(....)

Das gesamte Interview lesen Sie in der Zeitschrift Fotogeschichte, Heft 136, 2015. Bestellung

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