Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Anna Rosemann

Zander & Labisch (1895–1939)

Auf den Spuren einer bekannten Fotoagentur

Masterarbeit zur Geschichte der Fotoagentur Zander & Labisch, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte, Exil und Migration, Betreuer_innen: Prof. Dr. Kerstin Schoor, Dr. Enno Kaufhold, Abschluss: Februar 2017, Kontakt: anna.rosemann.90(at)gmail.com

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 144, 2017

Die Entstehungsgeschichte der frühen Pressefotografie ist untrennbar mit dem Aufbau der ersten Fotoagenturen verbunden. Wer sich mit der Pionierzeit des deutschen Fotojournalismus beschäftigt, stößt unweigerlich auf den Agenturnamen Zander & Labisch. Allerdings blieben die wenigen bisher existierenden Darstellungen zur Entwicklung der Agentur in ihren Angaben zur Firmengeschichte und den wirtschaftlichen Verflechtungen des Unternehmens äußerst rudimentär.[1] In sämtlichen bisherigen Publikationen wurden lediglich die Gründungsjahre von Zander & Labisch in die Betrachtungen einbezogen. Darüber hinaus berücksichtigte bislang keine Untersuchung die jüdische Herkunft der Agenturinhaber und den damit verbundenen Einfluss auf den Werdegang der Firma.

Die Gründung von Zander & Labisch im Jahre 1895 hängt eng mit den Umbrüchen im System der illustrierten Massenmedien zusammen. Dazu gehörten Neuerungen im Bereich der Foto- und Drucktechnik, aber auch ein gestiegenes Bedürfnis der Leser nach aktuellen Bildern und die damit verbundene steigende Popularität der illustrierten Zeitschriften. [2] Den daraus resultierenden bis dato noch ungedeckten Bedarf an tagesaktuellen fotografischen Bildern erkannten auch Albert Zander und Siegmund Labisch als sie am 19. Juni 1895 die Agentur Zander & Labisch gründeten, welche sich daraufhin auf die Presse als Kunde spezialisierte.[3] Der Firmengründung war die Veröffentlichung zweier Aufnahmen eines Brandes bei der Maschinenfabrik C. Flohr am 26. Mai 1895 in der Berliner Illustrirten Zeitung (BIZ) vorausgegangen, die der bei Flohr angestellte Ingenieur Albert Zander angefertigt hatte.[4] Sowohl Zander, der am 1. Januar 1864 in Colmar/ Posen geboren worden war,[5] als auch der am 30. Juli 1863 in Samter/ Posen geborene Kaufmann Siegmund Labisch, waren jüdischer Abstammung.[6] Ihren Firmensitz wählten Zander & Labisch in der Leipziger Straße 105 und somit in unmittelbarer Nähe zu den großen Berliner Zeitungsverlagen wie August Scherl und Ullstein.[7] Bis zur Jahrhundertwende konzentrierten sich beide auf Bilder tagesaktueller Ereignisse wie beispielsweise einer Fischauktion in der Berliner Zentralmarkthalle und auf Porträts bekannter Persönlichkeiten. Mit ihrem Motivangebot passte sich die Agentur den Bedürfnissen der illustrierten Presse an und konnte auf rasche Erfolge verweisen. Deutlich wird dies u. a. daran, dass etwa im Jahr 1897 10 Prozent aller Fotos in der BIZ von Zander & Labisch stammten.[8] Noch im gleichen Jahr bezog die Agentur in der Mohrenstraße 19 einen neuen Firmensitz, wobei die alten Räumlichkeiten von Waldemar Titzenthaler und Olga Badenberg, die beide zuvor bei Zander & Labisch angestellt gewesen waren, übernommen wurden.[9] Nach dem plötzlichen Tod Albert Zanders am 12. August 1897 übernahm Siegmund Labisch die Agentur als alleiniger Inhaber, wobei er den Namen Zander & Labisch beibehielt.[10]

Um 1900 erweiterte die Firma ihr Repertoire um Rollenporträts und Szeneaufnahmen am Theater sowie um Aufnahmen im Bereich der Industrie- und Architekturfotografie. Zu ihren Kunden zählten renommierte und international agierende Firmen wie AEG, Siemens, Osram und Borsig, die die Aufnahmen für ihre hauseigenen Archive nutzten oder sie den Zeitungsverlagen zum Druck zur Verfügung stellten.[11] Diese Spezialisierung und Nischenbildung entsprach einem Trend, der auch bei anderen Pressefotografen zu beobachten ist. Angesichts des rasanten Wachstums der Branche zogen sich einige Fotografen aus der Ereignisfotografie zurück und arbeiteten in anderen Genres auf Grundlage fester Aufträge.[12] Unter anderem war die Agentur für die jüdische Zeitschrift Ost und West tätig, in deren Auftrag unter anderem verschiedene jüdische Einrichtungen in Hamburg abgebildeten wurden.[13]

Am 1. Oktober 1917 trat der in Straßburg geborenen Paul Wittkowsky (geboren am 7. Februar 1892), ein Neffe von Siegmund Labisch, als Mitinhaber in die Agentur ein. Damit einher gingen sowohl die Verlagerung des Standortes an die Leipziger Straße 115/116 im Laufe des Jahres 1918 als auch die Einrichtung einer zusätzlichen Abteilung für Porträtfotografie. Zwar hatte die Firma schon zuvor Bildnisse bekannter Persönlichkeiten erstellt, zum neuen inhaltlichen Schwerpunkt wurde dieses Genre jedoch erst im Laufe der 1920er Jahre erhoben. Mit neun Angestellten[14] entsprachen Zander & Labisch zu diesem Zeitpunkt in ihrer Größe derjenigen anderer mittelständischer Fotoagenturen.[15] Unter der nationalsozialistischen Herrschaft kam es zu einem massiven Umsatzeinbruch der Firma.[16] Bereits 1933 sahen sich einige jüdische Inhaber anderer Bildagenturen durch die starke Einschränkung ihrer Pressetätigkeit gezwungen ihre Firmen aufzugeben. Die Agentur Zander & Labisch konzentrierte sich im Zuge dessen auf die Industrie- und Architekturfotografie, wobei sie nach ihrem Ausschluss aus dem „Reichsverband der deutschen Korrespondenz- und Nachrichtenbüros“ am 14. März 1936[17] und dem damit einhergehenden Verbot ihrer Tätigkeit für die Presse 1938 dazu gezwungen war, ihre Räumlichkeiten in der Leipziger Straße aufzugeben. Der Betrieb wurde in die Privatwohnungen der Inhaber Siegmund Labisch und Paul Wittkowsky verlegt, die beide weiterhin kleineren Aufträgen aus der Wirtschaft, wie dem Erstellen von Schaufensteraufnahmen, nachgingen.[18] Mit der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben war die Agentur gezwungen ihren Betrieb zum 31. Dezember 1938 endgültig zu schließen.[19] Siegmund Labisch kam am 7. Dezember 1942 als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgungen im Ghetto Theresienstadt um.[20] Paul Wittkowsky gelang hingegen am 11. Mai 1939 die Emigration nach Sydney, wo er am 5. September 1949 verstarb.[21]


[1] Weise, Bernd (1990): Pressefotografie. III. Das Geschäft mit dem aktuellen Foto: Fotografen, Bildagenturen, Interessenverbände, Arbeitstechnik. Die Entwicklung in Deutschland bis zum Ersten Weltkrieg, in: Fotogeschichte, Heft 37, 1990; Anke Spötter: Theaterfotografie der Zwanziger Jahre an Berliner Bühnen. Gestaltung und Gebrauch eines Mediums, Berlin 2003.

[2] Peter de Mendelssohn: Zeitungsstadt Berlin: Menschen und Mächte in der Geschichte der deutschen Presse, Berlin 1959, S. 112.

[3] Landesarchiv Berlin, A Rep. 342-02 Nr. 91 HR 13725 +1940, Blattsammlung des Amtsgerichts, S. 2.

[4]Berliner Illustrirte Zeitung, Jg. 1895 Heft 21, S. 4.

[5] Archiv Centrum Judaicum, Jüdischer Friedhof Weißensee Beisetzungsregister Nr. 17453.

[6] Heiratsurkunde von Siegmund Labisch und Regina Wittkowsky vom 21. Mai1898, Heiratsurkunde Nr. 392 des Jahres 1898, Standesamt Berlin I, II, Landesarchiv Berlin.

[7] Berliner Adressbuch 1896: unter Benutzung amtlicher Quellen. – Berlin: Scherl S. 2264.

[8] Bernd Weise: Fotografie in deutschen Zeitschriften, Teil: 1883–1923, Stuttgart 1991, S. 26.

[9] Michael Stöneberg: Titzenthaler – Vier Fotografen, drei Generationen, 100 Jahre Fotografie, Oldenburg 2008, S. 81-83.

[10] Landesarchiv Berlin, A Rep. 342-02 Nr. 91 HR 13725 +1940, Blattsammlung des Amtsgerichts, S. 2, 32.

[11] LABO Berlin, Entschädigungsakte Nr. 311 451 Siegmund Labisch, fol. D 49.

[12] Ludwig Boedecker: Pressephotographie und Bildberichterstattung: ein Handbuch für Pressephotographen, Bunzlau 1926, S. 20.

[13]Ost und West – illustrierte Monatsschrift für das gesamte Judentum, Jg. 1905, Heft 4, S. 265-268; Jg. 1905, Heft 7-8, S. 457-478, 487-492.

[14] LABO Berlin– Abt. I. – Entschädigungsakte Nr. 41 205 Fa. Zander & Labisch OHG, fol. D 9-10.

[15] Diethart Kerbs: Die Epoche der Bildagenturen, in: Diethart Kerbs, Walter Uka, Brigitte Walz-Richter (Hg.): Zur Geschichte der Pressefotografie, 1939–36. Die Gleichschaltung der Bilder, Berlin 1983, S. 37-38.

[16] LABO Berlin– Abt. I. – Entschädigungsakte Nr. 41 205 Fa. Zander & Labisch OHG, fol. D 10-11.

[17] Rolf Sachsse: „Dieses Atelier ist sofort zu vermieten“. Von der „Entjudung“ eines Berufsstandes, in: Fritz Bauer Institut (Hrg.): „Arisierung“ im Nationalsozialismus. Volksgemeinschaft, Raub und Gedächtnis, Frankfurt, New York 2000, S. 273, 284.

[18] LABO Berlin– Abt. I. – Entschädigungsakte Nr. 41 205 Fa. Zander & Labisch OHG, fol. D 1-2, D 34.

[19] RGBl. I 1938, S. 1580.

[20]https://www.bundesarchiv.de/gedenkbuch/de1097389 (letzter Zugriff: 13. März 2017).

[21] LABO Berlin– Abt. I. – Entschädigungsakte Nr. 41 205 Fa. Zander & Labisch OHG, fol. D 11.

 

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