Matthias Weiß
Diagonal durchdrungen. Eva Besnyö in Berlin
Marion Beckers, Elisabeth Moortgat: Eva Besnyö 1910–2003. Fotografin. Budapest Berlin. Amsterdam – Berlin: Hirmer Verlag, 2011, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in der Berlinischen Galerie, Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur, Berlin, 28. Oktober 2011 bis 27. Februar 2012, 23 x 28 cm, 248 Seiten, 112 Duplex-Tafeln und 159 Duplex-Abbildungen, gebunden, 39,90 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 123, 2012
„In Ungarn lag die Diagonale in der Luft, in Berlin ging sie durch mich hindurch.“ Mit diesen Worten beschrieb Eva Besnyö nicht nur die unterschiedlichen Lebensgefühle in ihrer Geburtsstadt Budapest und der noch immer pulsierenden Hauptstadt der Weimarer Republik, in der sie sich bald nach ihrer Ankunft im Jahre 1930 selbstständig gemacht hatte. Sie benennt mit diesem Satz zugleich eines der wesentlichen Merkmale neusachlicher Fotografie, das auch und gerade ihr Arbeiten maßgeblich bestimmte. Für die Berliner Retrospektive nun, die einen Bogen von den späten Zwanzigern bis in die frühen Siebzigerjahre spannt, hat man sich entschieden, dieses Gestaltungselement auf den Ausstellungsraum zu übertragen. Zwei leuchtend rote Wände teilen ihn in keilförmige Hälften, zwei andere scheinen die Umfassungsmauern zu durchstoßen. Das ist ebenso effektvoll wie sinnfällig, erweist sich aber auch als symptomatisch für den hier gebotenen Blick auf das Werk der ungarischen Fotografin, der das Augenmerk etwas zu einseitig auf dieses eine, wenn auch wichtige Kompositionsmittel lenkt.
Naheliegend ist zudem, dass das Verborgene Museum mit seiner Konzentration auf die Kunst von Frauen und die Berlinische Galerie mit ihrem Hauptstadtbezug sowie einem ausdrücklichen Schwerpunkt Fotografie diese erste umfangreiche Einzelschau von Eva Besnyö in Deutschland gemeinsam ausrichten (das Verborgene Museum ist zu Gast in der Berlinischen Galerie) – auch wenn die Künstlerin nur zwei Jahre in Berlin lebte und sich das seinerzeit entstandene Werk lediglich als Fragment erhalten hat: Ihre Arbeiten für das Atelier Dr. Peter Weller sind mit seinem Namen gestempelt und deshalb nicht eindeutig zu identifizieren. Vieles ging verloren. Anderes ist zerstört, teils kriegsbedingt, teils durch die Künstlerin selbst. Dennoch genügt ein Abschreiten der in der Ausstellung wohltuend ruhig und klar präsentierten Bestände aus der Sammlung Iara Brusse, dem Maria Austria Instituut, dem Stedelijk Museum und dem Rijksmuseum – allesamt Amsterdam – sowie dem Bauhaus Archiv Berlin, um den Rang von Besnyös Lichtbildnerei auch unabhängig von ihren wohl berühmtesten Motiven wie dem vielfach reproduzierten Jungen mit Cello (1931) und der in Edward Steichens namhafter Schau The Family of Man vertretenen Näherin (1951) einzuschätzen. Besnyö fotografierte auf hohem Niveau, neigte allerdings dazu, einmal gefundene Bildlösungen mehrfach und über Jahre hinweg zu wiederholen und insbesondere die Diagonale fast enervierend oft zu bemühen. Dieser Eindruck ist weder dem fragmentarischen Zustand des Werks noch kuratorischen Pointierungen geschuldet, wie der im Katalog zitierte Kommentar A. E. van den Tols zu einer ersten Einzelausstellung Besnyös im Jahre 1933 belegt: „Dabei zeigt sie eine übertriebene Vorliebe für Aufnahmen in einem Winkel von 45 Grad. Daß die Diagonale im Bild in der Regel gut gemacht ist, ist meines Erachtens kein Grund, diese Methode so häufig einzusetzen, wie es hier passiert.“
Das Verdienst des Katalogs ist die umfangreiche historische, politische und vor allem biografische Einbettung der zahlreichen und in bestechender Qualität abgebildeten Fotografien, wobei die Autorinnen bisweilen vielleicht zu sehr den im Anhang noch einmal tabellarisch zusammengefassten Lebensweg der Künstlerin zur Richtschnur nehmen. Grob zusammengefasst liest sich das wie folgt: Eva Besnyö wurde 1910 in Budapest als Tochter eines jüdischen Juristen in gutbürgerliche Verhältnisse geboren. Künstlerisch erblickte sie das Licht der Welt, als ihr der Vater 1929 ein Fotobuch von Albert Renger-Patzsch schenkte. Nach kurzer Lehrzeit in einem renommierten Budapester Atelier entschloss sich die junge Frau 1930 – nicht zuletzt aufgrund des in ihrer Heimat immer deutlicher spürbaren Antisemitismus – nach Berlin zu gehen, wo sie gut ein halbes Jahr später als Freiberuflerin zu arbeiten begann und von der Agentur Neofot vertreten wurde. In Berlin traf Besnyö neben ihrem Landsmann László Moholy-Nagy ihren ersten Ehemann John Fernhout, mit dem sie – abermals der politischen Zuspitzungen wegen – die Stadt in Richtung Amsterdam verließ. 1933 wurde ebenda die bereits genannte Einzelausstellung gezeigt. Auch als Kuratorin setzte sich Besnyö für ein besseres Renommee der Fotografie in den Niederlanden ein. Ende der Dreißigerjahre genoss sie den Ruf einer ebenso geschätzten wie viel beschäftigten Fotografin, was sich mit der Besetzung der Niederlande durch die Nationalsozialisten schlagartig änderte. Besnyö erhielt Berufsverbot, lebte zeitweise im Untergrund, war im Widerstand tätig. Nach dem Krieg, der Heirat mit Wim Brusse und der Geburt der Kinder Berthus und Iara trat die fotografische Arbeit zeitweise in den Hintergrund. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren entstanden eindrückliche Porträts. In den Siebzigerjahren trat sie noch einmal mit Aufnahmen der niederländischen Frauenbewegung Dolle Mina hervor. 2003 starb Eva Besnyö im niederländischen Laren und wurde in Amsterdam beigesetzt.
All dies ist solide recherchiert und gut lesbar, der biografische Ansatz für ein monografisches Vorhaben wie das vorliegende konventionell und auf den ersten Blick auch überzeugend. Dennoch überlegt man bei der Lektüre zuweilen, ob es vielleicht noch lohnenswerter gewesen wäre, nicht die Bilder anhand der Biografie, sondern die Biografie anhand der Bilder zu durchleuchten. Dies hätte zusätzliche Fragen aufgeworfen oder andere Perspektiven eröffnet: Was zum Beispiel überrascht an der notwendig anders aufgefassten Architekturfotografie, die zu den wesentlichen Aufgabenbereichen neusachlicher Fotografie zählte und die Besnyö von 1935 bis 1939 mit großem Erfolg betrieb? Es ließe sich doch auch als Ausdruck des souveränen Umgangs mit den eigenen Mitteln begreifen, wenn sie verschiedene, in einem Leporello jener Jahre ausdrücklich beworbene Genres inklusive spektakulärer Nachtaufnahmen beherrscht. Und was eigentlich faszinierte Eva Besnyö derart nachhaltig an der Diagonalen, dass sie – überspitzt formuliert – bei kaum einer Aufnahme auf sie verzichten mochte? Geht es vielleicht darum, durch die ungewöhnlichen Blickwinkel das Medium selbst sichtbar zu machen? Indiz hierfür könnten ebenfalls viel verwendete Motive wie Verdeckungen, Überlagerungen und Durchblicke sein, die verschiedene Ebenen oder Register der Sichtbarkeit in den Fokus bringen, und mehr noch die Lichtreflexe, Spiegelungen und Schatten, die darauf hinweisen, dass der Einfall von Licht die Grundvoraussetzung der Fotografie ist.
Bei allem Eindruck, den die anspruchsvolle Gestaltung des Katalogs zu Recht hinterlässt, scheint auch das Verhältnis beziehungsweise die Verzahnung von Textkörper und Abbildungsteil nicht in aller Konsequenz durchdacht zu sein. Besonders das durch die vielen, teils gereihten, teils gedoppelten Verweise notwendige Vor- und Zurückblättern ist auf Dauer doch recht beschwerlich. Dennoch: Alles in allem liegt hier ein ebenso instruktiver wie gut informierter Katalog vor, der eine breite Leserschaft nicht nur bedient, sondern auch verdient, und dessen unbestreitbare Leistung es ist, die Aufmerksamkeit auf eine der herausragenden Fotografinnen der Dreißigerjahre zu lenken. Man sollte dies zum Anlass nehmen, den Blick erneut auf die eine oder andere von Diagonalen bestimmte Fotografie von Eva Besnyö zu richten, um sie noch tiefer zu durchdringen.
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