Antje Krause-Wahl
Auf einer Seite? Mode und Kunst im Magazin
Forschungsprojekt (DFG, eigene Stelle), Kunstgeschichtliches Institut der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Beginn: Mai 2013, Kontaktadresse: Krause-Wahl(at)em.uni-frankfurt.de
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 140, 2016
2010 gründete die New Yorker Künstlergruppe DIS (Lauren Boyle, Solomon Chase, Marco Roso und David Toro) die Internetplattform DIS Magazine. Auf ihr nehmen Fotografien in auffälliger Quantität auf einen zeitgenössischen Lifestyle Bezug, der sich in Mode, Produkten und sozialen Aktivitäten ausdrückt. Die Fotografie „Felix Wears Polo by Trovata“zeigt einen jungen Mann in einem Poloshirt, dereine Ausstellung im New Museum in New York besucht.Die Fotografie ist Teil einer Bildstrecke, in der unter dem Titel „New in Stock“ Kuratoren, Künstler oder Besucher Arbeiten betrachten, über sie sprechen, oder sich vor ihnendieHände schütteln. Die Bildstrecke greiftauf Stockfotografien zu,deren Darstellungsparameternökonomische Prinzipien zugrunde liegen.Und DIS Magazine tritt sogar selbst als Bildagentur auf, indem auf einer eigenen Seite die digitalen Fotografien zu Verfügung gestellt werden.
Es ist eine bewusste Koinzidenz, dass in „Felix Wears Polo by Trovata“Seth Prices Text Dispersion (2002) als Hintergrund firmiert, der gleichsam eine Erklärung für das Vorgehen von DIS liefert. Denn Price formuliert in diesem Manifest die utopische Vorstellung einer Kunst, die im Kontext digitaler Netzwerkkulturen innerhalb der Popkultur agiere, und die Distributionsmechanismen selbst zum Thema mache. Werke, die ohne Limitierung und unter Aufgabe des Copyrights im Internet zirkulieren, könnten so die Möglichkeit eröffnen, einer neoliberalen Ökonomie in der Mode und Kunst in wechselseitiger Wertsteigerung untrennbar miteinander verbunden sind, als systemimmanente Störung zu begegnen.
Die Fotografie nutzt, indem ein Kunstwerk als Hintergrund dient, einen Topos, der sich in der Modefotografie im 20. Jahrhundert etabliert, sie zeigt, dass Künstler reflektierenden Bezug nehmen auf Modefotografie und ihre Distribution, die sich in Abhängigkeit von technologischen Innovationen verändern. Und sie zeigt auch, dass es nicht allein Haute Couture ist, sondern auch andere modische Erscheinungsweisen sind, wie in diesem Fall eine Mode, die unter der Begriff „normcore“ firmiert, die in diesen Konstellationen eine Rolle spielen.
Warum wird Kunst und werden Künstler in Modezeitschriften abgebildet bzw. werden diese für Modezeitschriften engagiert? Wie greifen Künstler in ihren Zeitschriften auf Modefotografien und Modezeitschriften zu? Und auf welche Mode greifen sie zu? Dies waren die Ausgangsfragen für ein Forschungsprojekt, das die Geschichte der Beziehung von Mode und Kunst im Magazin aus zwei miteinander verzahnten Perspektiven erzählt - aus derjenigen des Modemagazins und derjenigen des Künstlermagazins. Dafür werden systematisch Zeichnungen, Fotografien und Texte der Magazine analysiert und in die jeweils historischen Fotografie-, Mode- und Kunstdiskurse eingebettet.
Das Forschungsprojekt fokussiert auf in New York herausgegebene Magazine, die nicht nur international tonangebend waren/sind, sondern in denen die wechselseitigen Bezugnahmen kulminieren. Die Gründe dafür sind vielfältig: Modemagazine waren ein Arbeitsplatz für die aus Europa emigrierten Künstler. Der einflussreiche Art Director der Vogue, Alexander Liberman, war als bildender Künstler aktiv. Andy Warhol war zunächst im Magazingeschäft tätig, um später parallel zu seiner künstlerischen Tätigkeit eine eigene Zeitschrift zu publizieren.
Mittlerweile gibt es zahlreiche Einzelstudien, die einzelnen Modefotografen gewidmet sind und deren Bezugnahme auf bildende Kunst analysieren. Mein Projekt untersucht demgegenüber die Konstellationen von Mode/Fotografie und Kunst in Avantgarde- und Modezeitschriften von den 1910er Jahren bis in die Gegenwart (u.a. Rogue, Harper’s Bazaar, Vogue, View, Andy Warhol’s Interview, FILE, Purple) im Verbund mit der Arbeit ihrer Herausgeber (Alexander Liberman, Andy Warhol, General Idea).
Für mein Forschungsprojekt relevant ist vor allem Nancy Troys Couture Culture,[1] in der sie die Strategien der Bezugnahme von Mode auf Kunst und umgekehrt untersucht hat. Sie stellt dar wie Anfang des 20. Jahrhunderts Designer ihre Entwürfe in Anknüpfung an künstlerische Autonomie und Individualität vermarkten, aber auch wie Marcel Duchamp mit seinen Ready Mades die massenindustrielle Fertigung der Ready-to-Wear Kultur reflektiert.
Mein Projekt arbeitet dagegen aus der Perspektive des Modemagazins die Rolle der Kunst in Relation zu den technologischen Innovationen und den jeweils dominierenden Bildsprachen der Modefotografie heraus. Aus der Perspektive des Künstlermagazins stehen die Verfahren der Aneignung und Zusammenstellung von gefundenen (Mode)Fotografien im Zentrum. Ein zentraler Aspekt sind hierbei queere Identitätskonstruktionen, die im Bezug auf Mode etabliert oder reflektiert werden.
Der Art Director der Vogue, Alexander Liberman, stellte in seinem Buch The Artist in His Studio (1960) Porträts von europäischen Künstlern in ihren Ateliers zusammen, die er zuvor in Farbe in der Vogue abdrucken ließ. Anhand von Quellen aus dem Condé Nast Archiv und dem Alexander Liberman Archiv zeige ich, dass seit den 1930er Jahren die Vogue eine entscheidende Rolle bei der qualitativen Entwicklung der Farbfotografie und -reproduktion einnimmt. Mit der Publikation The Art and Technique of Colour Photography (1951), in der Fotografien (u.a. Blumenfeld, Rawlings, Penn) aus den Publikationen des Condé Nast Verlags abgedruckt sind, knüpft Liberman an diese Vorreiterposition an, indem er Regeln für eine gelungene Farbfotografie im Vergleich mit Kompositionsprinzipien der bildenden Kunst aufstellt.
Mit diesen Prinzipien wird nicht nur Haute Couture, sondern auch Ready-to-wear Mode fotografiert, deren Verbreitung ein zentrales Anliegen der Vogue war. Die kulturwissenschaftlichen Studie Regina Lee Blaszczyks The Colour Revolution[2] aufgreifend, in der die Autorin die Innovationen und Strategien der amerikanischen Modeindustrie untersucht, haben meine Recherchen in Magazinen des Textilhandels und zeitgenössischer Ratgeberliteratur ergeben, dass die Zusammenstellung der Farbe als zentrales Problem diskutiert wird. Die systematische Analyse der Texte und Fotografien der Vogue zeigt, dass die Modefarben, ihre geschmackvolle Zusammenstellung und moderne europäische Kunst zentrale Themen sind. Indem die amerikanischen Leserinnen mithilfe von Kunst grundlegende Prinzipien der Farbwirkung, der Komposition etc. erläutert bekommen, werden sie zu einem geschmackvollen Kombinieren von Ready-to-Wear Mode angeleitet.
Zugleich werden in der Vogue Künstler zu einem Stylevorbild, indem Fotografien auf die Kleidung und die Einrichtung der Lebensumgebung fokussieren. Zur vollen Entfaltung kommt solch ein Verständnis vom Künstler jedoch erst in den 1960er Jahren, in denen Magazine wie Harper’s Bazaar, Minimal Art, Konzeptkunst, Dichtung und Mode nebeneinander zeigen oder das Kunstmagazin Aspen sich an eine neue kunstinteressierte Leisure Class wendet. Insbesondere in der von Warhol gestalteten Fab Issue (1966) wird deutlich, dass der Lifestyle der Counterculture für die Leser attraktiv ist, weil er für Kreativität, Flexibilität und Individualität steht, Eigenschaften, die in einer postfordistischen und neoliberalen Arbeitskultur zu neuen Leitwerten werden.
Als die Verbindung von Kunst und Mode solchermaßen in das Zentrum rückt, greifen auch Künstlerzeitschriften auf Mode zu, indem sie sich auf vorhandene Bilder von Mode und Style beziehen. In der Analyse der Künstlerzeitschriften stehen daher die Verfahren der Aneignung und Zusammenstellung dieser gefundenen (Mode)Fotografien im Zentrum. Andy Warhol gründete 1969 die Zeitschrift Inter/VIEW, in der neben Filmstills Fotografien von Hollywoodstars und Dragqueens abgedruckt wurden, und im Verlaufe der 1970er Jahre mit eigens angefertigten Modefotografien kombiniert. Ich zeige, wie die Auswahl der Fotografien und insbesondere ihre Anordnungen auf den Seiten, Bilder heteronormativer Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit in Fluss versetzt. Die Fotografien glamouröser Stars, so die These, dienen als Style Guides für eine neue selbstbewußte urbane und queere Leserschaft, für die ein stylisches Auftreten, das Zurechtmachen für ein Bild, zentral ist. Gerade der Vergleich der Modefotografien Francesco Scavullos mit den appropriierten Fotografien verdeutlicht, wie die in Inter/VIEW etablierte „queere“ Bildsprache in der Modefotografie weitergeführt wird. Das Magazin kann damit als Beitrag zur Etablierung und Popularisierung „queerer styles“[3] in den 1970er Jahren verstanden werden. Andy Warhol’s Interview ist aber auch exemplarisch für eine Tendenz, die sich in dezidiert an eine queere Leserschaft gerichteten Magazinen abzeichnet: eine komplexe und ambivalente Beziehung von Mode, Queerness und Politik, die zwischen Affirmation und Subversion changiert und der Künstlerzeitschriften wie FILE entgegnen.
Eine Analyse der sich wandelnden Konstellationen von Kunst/Mode/Fotografie im Magazin zeigt, wie Kunst und Künstler zunehmend Teil einer Lifestylekultur werden. In den amerikanischen Magazinen, die ready-to-wear Mode ihren Leserinnen vermitteln, ist es gerade die Differenz (Autonomie, Individualität) gegenüber der Massenkultur, die Künstler in verschiedener Hinsicht für das Magazin attraktiv werden lässt.
Für Künstlermagazine, die durch einen aneignenden Zugriff auf Modefotografie gekennzeichnet sind, ist es zentral, dass neben der Reflexion der affirmativen Relation von Kunst und Mode, im Rekurs auf Mode Geschlechterdifferenzen aufgebrochen und alternative Identitätskonzepte etabliert werden.
Es geht in diesem Projekt sowohl darum, die Aktualität dieser Konstellationen, wie sie exemplarisch das DIS Magazine zeigt, zu historisieren. Aber es gilt auch das Magazin selbst, dessen Relevanz als zirkulierendes Bildarchiv im Kontext des Digitalen erst sichtbar wird, neu zu konzeptualisieren.
[1]Nancy Troy: Couture Culture. A Study in Modern Art and Fashion, Cambridge, MA 2003.
[2]Regina Lee Blaszczyk: The Colour Revolution, Cambridge, MA 2012.
[3] Adam Geczy, Vicki Karaminas: Queer Style, London 2013.
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