Christina Natlacen
Porträts in Text und Bild
Bernd Stiegler, Photographische Portraits, Paderborn: Wilhelm Fink, 2015, 251 S., 21,5 x 13,4 cm, 90 Abb. in S/W, kartoniert, 29,90 Euro
Günter Karl Bose, Stardust. Ein Kapitel der Geschichte des Gesichts, 100 Retouched Press Photos, erschienen als Band #03 der Reihe Archiv/Günter Karl Bose, Leipzig: Institut für Buchkunst, 2015, 128 S., 23,5 x 29,5 cm, zahlreiche ganzseitige Abb. 4-fbg., Halbleinen, 29 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 140, 2016
Bernd Stiegler gilt zu Recht als einer der großen Universalisten der Fotogeschichte, der sich in den letzten Jahren von den verschiedensten Seiten her seinem Untersuchungsgegenstand angenähert hat. Ursprünglich von der Literaturwissenschaft kommend, praktiziert er eine kulturhistorisch ausgerichtete Forschung zum Medium Fotografie, der wir viele anregende und originelle Publikationen verdanken. Seine besten Schriften über Bilddiskurse zeugen sowohl von einem ausgeprägten Quellenstudium als auch der Miteinbeziehung der gegenwärtigen Populärkultur. Seit 2010 tritt Stiegler zudem auch als Herausgeber der bei Wilhelm Fink verlegten Reihe „Photogramme“ in Erscheinung, die sich der Edition von meist monografisch ausgerichteten Originaltexten zur Geschichte und Theorie der Fotografie verschreibt.
Dem Thema des fotografischen Porträts hat sich Bernd Stiegler bislang noch nicht explizit gewidmet. Von daher ist man gespannt, in welche Kerbe der jüngst erschienene gleichlautende Band wohl schlägt. Leider stellt sich rasch heraus, dass der Titel ein Etikettenschwindel ist, wie auch bereits Claudia Schmölders festgestellt hat.[1] Nicht dem Porträt als Genre ist der Inhalt des Buches gewidmet, sondern es handelt sich um eine Zusammenstellung von durchgängig bereits an anderen Stellen erschienenen Texten zu diversen fotografischen Positionen. In der Vorbemerkung wird erklärt, dass auch das am Cover abgedruckte Rundum-Selbstporträt von Nadar (Autoportrait ‚tournant’) aus dem Jahr 1865 eine falsche Fährte legt. Denn Stiegler verwendet den Begriff des Porträts vielmehr in Hinblick auf seine Texte, die „in essayartiger Form eine jeweils besondere Perspektive zu rekonstruieren [versuchen] und zugleich eine besondere Geschichte, einen eigentümlichen Blick und eine neue Gestalt der Bilder, die sich ihr verdanken“ (S. 10). Dies sollte eigentlich bei jeder ernstzunehmenden Auseinandersetzung mit dem Werk eines Fotografen oder einer Fotografin der Anspruch sein, in jedem Fall ist es aber ein zu schwaches Konzept, um eine Klammer für die zusammengetragenen Aufsätze herzustellen. Zudem sind die einzelnen Texte unterschiedlichen Genres zuzuordnen (das Spektrum reicht von Katalogaufsätzen über die in der Reihe „Photogramme“ üblichen Nachworte bis hin zu einer Laudatio), so dass deren Vereinheitlichung in einem so genannten Essayband nicht aufgeht. Schließlich funktionieren die Ausgangstexte maßgeblich innerhalb eines spezifischen Kontextes, wie er beispielsweise bei der Veröffentlichung eines Werks in Form eines Ausstellungskatalogs gegeben ist (hier wären etwa die Aufsätze zu Simone Kappeler und Michael Reisch zu nennen) oder als Nachwort zur Edition einer Schriftensammlung (wie bei Alvin Langdon Coburn oder Alexander Rodtschenko). Die Texte sind dort Teil eines Ganzen, das im ersten Fall durch die sorgfältige Erstellung eines Bildteils, im zweiten durch die Bezugnahme auf die im selben Band abgedruckten Originalschriften begründet ist. In der Kompilation Photographische Portraits werden nun die Texte lieblos um einen daran anschließenden Bildteil ergänzt, der im Schnitt zwischen sechs und acht Abbildungen aus dem Œeuvre der jeweils besprochenen Fotografen und Fotografinnen in ungenügenden Schwarz-Weiß-Abbildungen stereotyp aneinander reiht. Bezugnahmen zwischen Text und Bild treten nur sporadisch auf; möchte man mehr über die visuelle Grundlage der einzelnen Essays erfahren, empfiehlt sich erst recht wieder der Griff zur ursprünglichen Publikation oder zumindest die visuelle Ergänzung durch Material auf den entsprechenden Homepages der Künstler und Künstlerinnen.
Um von den formalen und konzeptionellen Unstimmigkeiten Abstand zu nehmen, ist eine Konzentration auf die Mikroebene der einzelnen Texte anzuraten. Beiträge zu den klassischen Protagonisten der fotografischen Avantgarde halten sich die Waage mit Essays zu noch weniger breit rezipierten zeitgenössischen Positionen. Manch ein Text besticht durch gewinnbringende Gegenüberstellungen und Verweise, wie etwa die vorgeschlagene parallele Lektüre von Boris Mikhailovs Werk mit dem Buch Moskau – Petuški von Venedikt Erofeev. Einen gewitzten Kunstgriff stellt die Annäherung an das Arbeiten mit gefundenen Fotografien am Beispiel von Elmar Mauch dar, welche Stiegler als Zehn Gebote formuliert, die durchaus auch für andere künstlerische Praktiken mit Fremdmaterial aus dem Bereich der Vernacular Photography Gültigkeit haben. Besonders gelungen ist schließlich der Text zu Regula Bochslers Serie The Rendering Eye von 2013, welcher sich ausgehend von einer Analyse des der 3D-Flyover-Funktion von Apple Maps zugrunde liegenden Blickregimes mit Bochslers künstlerischer Verwendung dieser Technik auseinander setzt.
Tatsächlich einem „Kapitel der Geschichte des Gesichts“ – so der Untertitel – gewidmet ist hingegen das zeitgleich erschienene Buch Stardust. Es zeigt einen umfangreichen Einblick in Aufnahmen von Filmstars aus den 1920er Jahren bis in die 1970er Jahre, die alle aus der Sammlung von Günter Karl Bose stammen. Das besondere Merkmal dieser Fotografien besteht darin, dass es sich durchgehend um retuschierte Vorlagen für die Veröffentlichung in Zeitungen und illustrierten Magazinen handelt. Dieses Material, das in Zeiten von Photoshop insbesondere durch das offensichtlich Handwerklich-Gemachte des malerischen Überarbeitungsprozesses fasziniert, spricht zunächst einmal für sich. So kann man beispielsweise die verschiedenen ornamentalen Rahmungen, die in den 1920er Jahren die Gesichter der Schauspielerinnen umgaben, miteinander vergleichen oder sich an den unfreiwillig komischen Eingriffen in die benachbarten Gesichter auf den Standfotos erfreuen, die durch das Freistellen einer Person bedingt sind. Großzügig breiten sich die Abbildungen Seite für Seite annähernd in Originalgröße aus. Wie schon in den ersten beiden Bänden der vom Institut für Buchkunst der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig herausgegebenen Reihe „Archiv/Günter Karl Bose“[2] besticht diese Publikation durch die hohe Qualität der Abbildungen, das sorgsame Layout und einen präzisen Text. Dieser umfasst eine kleine Kulturgeschichte der Arbeit am Porträt am Beispiel der Retusche, die einmal mehr das Verhältnis zwischen Fotografie und Malerei als zwei sich bedingende Bildmedien aufrollt. Waren in der Frühzeit viele in der Porträtfotografie Tätige im Miniaturmalen ausgebildet und konnten so beide Techniken in Personalunion ausüben, kam es insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer Arbeitsteilung. Dass die Retusche aber nicht rein als Hilfsdienst angesehen wurde, davon zeugt Hans Arnolds 1892 erschienenes Handbuch Die Negativ-Retouche nach den Kunst- und Naturgesetzen. Teilweise wird sogar die Arbeit des Retuscheurs in Bezug auf die Autorschaft über jene des Fotografen gestellt. Und auch zeitlich steht der Aufwand des Retuscheurs dem des Fotografen oder der Fotografin um nichts nach: Durchschnittlich sechs Arbeitsstunden dürfen sich die Bildbearbeiter in den 1960er Jahren bei amerikanischen Filmproduktionsgesellschaften mit der Optimierung eines Porträts beschäftigen. Eine gut recherchierte Bibliografie lädt zu einer weiterführenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema ein.
[1] Claudia Schmölders, „Der Titel von Bernd Stieglers Buch Photographische Portraits ist eine Irreführung“, http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=21279 (zuletzt eingesehen am 15.02.2016). Ich danke ganz herzlich Ulrike Matzer für diesen Hinweis.
[2] Vgl. Günter Karl Bose, Photomaton. Männer, Frauen, Kinder. 1928-1945. 500 Automatenbilder, Leipzig 2011 und Günter Karl Bose, Big Zep. 300 anonyme Fotos von Zeppelinen, Leipzig 2013.
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