Patrick Rössler
„Das neue künstlerische Portrait“
Photomaton – Visuelle Strategien der Vermarktung
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 140, 2016
Ein wenig Geld, ein wenig Zeit, und eine Photomaton-Kabine am Weg – fertig war ein Stück individueller Erinnerungskultur, ohne Einmischung eines Studiofotografen. Am Potsdamer Platz eröffnete im Februar 1929 das erste Berliner Studio für Automatenbilder; bis 1933 sollten es 180 solcher „Photographie-Selbstverkäufer“ werden. Die Geschichte des Ingenieurs Anatol Josepho und seines Patents, das von den USA aus seinen Siegeszug durch die Welt antrat, ist in vielerlei Hinsicht faszinierend: Über die fotohistorische Relevanz und die unternehmerischen Lehren dieses Beispiels hinaus lassen sich an diese ganz spezifischen Portraits, ihre Entstehung und ihre Verwendung auch vielerlei (medien-)philosophische Fragen richten. Deswegen verwundert es im Nachhinein nicht, dass sich bereits die erste Ausgabe dieser Zeitschrift im Jahr 1981 mit dem Thema befasste. Die Autoren verdeutlichten dort schlüssig, weshalb es sich bei dem Photomaton weniger um eine ureigene Erfindung denn um eine geschickte Verknüpfung bekannter Techniken zu einer komplexen, aber überzeugenden Gesamtkonstruktion handelte. Ihr Erfolg beruhte primär auf einer geschickten Mischung von Einfallsreichtum, Börsenspekulation, Marketing und im Publikum geweckten Bedürfnissen.[1]
So wenig wie dies der Popularität der Automatenfotografie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Abbruch tat, so wenig konnte das technisch ernüchternde Fazit verhindern, dass sich seit dem besagten Artikel eine ganze Reihe von Publikationen und Ausstellungen den meist kleinformatigen Zeugnissen der Gelegenheitsfotografie widmeten. Dies ging mit der allgemein zunehmenden Beachtung der ‚Vernacular Photography‘ einher, den aus Flohmarktkisten und vergilbten Fotoalben herausgefischten, privaten ‚Snapshots‘.[2] Dabei folgen die Automatenfotografien in ihrer selbstinszenierten Motivik und ihrem seriellen Charakter einer grundsätzlich anderen Logik, wie verschiedene kulturwissenschaftliche Studien herausgearbeitet haben. Zuletzt verdeutlichte Clément Chéroux in seinem Essay anlässlich einer Ausstellung im Lausanner Musée de l’Elysee sowohl die eigenartige Ästhetik der fotografischen Objekte als auch die eigentümliche Situation des Individuums, alleine mit der Apparatur in einer Kabine.[3]
Zuvor hatte bereits ein gut recherchierter Band die Geschichte der Automatenfotografie mit Schwerpunkt in den USA aufgearbeitet und sich sehr anschaulich insbesondere der Vermarktung der Idee durch Josepho gewidmet.[4] Eine materialreiche britische Website (http://fotohistory-sussex.cu.uk) ergänzt dies um allerlei Informationen und Anekdoten. Die zwei wichtigsten Bücher zum Thema resultieren allerdings aus beeindruckenden Sammlungen von Photomaton-Bildern: Zum einen die 2002 publizierte Zusammenstellung von Barbette Hines, deren Auswahl sich zu einem vielsagenden Panoptikum der amerikanischen Gesellschaft der Zwischenkriegszeit fügt;[5] aber vor allem natürlich die auch gestalterisch herausragende Kompilation von Günter Karl Bose (2011). Das am Institut für Buchkunst in Leipzig erschienene Werk reiht 500 deutsche Automatenbilder der Jahre 1928 bis 1945 zu einer Charakterstudie, die nicht von ungefähr auf August Sanders Mammutvorhaben „Menschen des 20. Jahrhunderts“ Bezug nimmt und gerade im Dialog mit dieser Unternehmung zu neuen Einblicken in das Wesen des fotografischen Porträts gelangt.[6]
Dort finden sich im Materialanhang auch Hinweise auf die Vermarktung des Photomaton-Konzepts in Deutschland; hinzuzufügen wäre die PR-Kampagne mit den beiden Filmstars Dita Parlo und Harry Liedtke anlässlich der Markteinführung im Oktober 1928. Ebenso wie in anderen Ländern konnten die Kunden von ihren Automatenbildern (bei Gefallen des 8er-Steifens für 1 RM) Vergrößerungen zu durchaus beachtlichen Preisen anfertigen lassen, wie die Reklame auf den erhaltenen Verkaufstüten belegt.[7] Eine Vorschau wurde dem Kunden durch ein optisches Vergrößerungsgerät ermöglicht, das die vom U.S. Patent Office 1929 unter der Nr. 1,739,816 geschützte Konstruktionszeichnung dokumentiert. Abbildungen der Verkaufsräume zeigen, dass Muster für die Vergrößerungen an den Schaltern ausgehängt waren, aber die Beschaffenheit dieser offenkundig zu werblichen Zwecken hergestellten Motive kann erst aufgrund eines nun aufgefundenen Satzes von 25 Originalabzügen unterschiedlicher Formte näher untersucht werden.
Bei den Aufnahmen zur Eigenreklame handelt es sich offensichtlich um professionelle Studiofotografien von Modellen, die dem oder der unbekannten Fotograf/in zur Verfügung standen. Der Typus ist erwartbar städtisch-mondän, die Accessoires und die Kleidung sind gepflegt, vermarkten die Traumwelten einer wohlhabenden Oberschicht: Die Dame mit Hütchen und Kopftuch, kokett hinter einem Fächer oder im Flapper-Stil mit Krawatte und einer Zigarette lässig im Mundwinkel, im dramatischen Profil oder im Duett mit dem seriös gescheitelten Verehrer. Verfügbar waren Schwarz-weiß- wie Farbaufnahmen, aufgeklebt auf einen gediegenen Büttenkarton und eingelegt unter ein Seidenhemdchen in ein Mäppchen aus selbigem Material. Die Fotografien selbst zeichnen eine weiche Gesichtsform und sind rückseitig zum Teil mit „Berlin“ beschriftet – klarer Hinweis auf den vorgesehenen Einsatzort. Die geprägte Aufforderung zur Nachbestellung ist auf Deutsch gehalten und bittet um Einsendung des Kleinbild-Originals. In ihrer eigenen Ästhetik zwischen Studioporträt und Automatenfotografie repräsentieren diese Werbeaufnahmen einen wichtigen Baustein zur Erforschung des Massenphänomens Photomaton und seiner Vermarktung – gerade diesseits der von Kranzfelder beschworenen Zweckentfremdung des Fotoautomaten, der eigentlich für Rationalisierung und Automatisierung steht.[8]
[1] Ellen und Klaus Maas: Das Photomaton – eine alte Idee wird vermarktet, in: Fotogeschichte, 1. Jg., 1981, Nr. 1, S. 60-72.
[2] Vgl. z. B. Timm Starl: Knipser. Die Geschichte der privaten Fotografie in Deutschland und Österreich von 1880 bis 1980. München: Koehler & Amelang 1995. – National Gallery of Art (Hrsg.): The Art of the American Snapshots 1888-1978. From the Collection of Robert E. Jackson. Princeton: University Press 2007.
[3]Clément Chéroux: Le degré zéro du portrait. Pourquoi le Photomaton fascine, in: ders. und Sam Stourzdé (Hrsg.): Derrière le rideau. L’esthétique Photomaton. Arles: Éditions photosynthèses 2012, S. 27-37.
[4] Näkki Goranin: American Photobooth. New Xork: W. W. Norton & Co. 2008.
[5] Barbette Hines: Photobooth. New York: Princeton Architectural Press 2002.
[6] Günter Karl Bose: Photomaton. Männer Frauen Kinder. 500 Automatenbilder 1928-1945. Leipzig: Institut für Buchkunst 2011.
[7] Vgl. die Abb. ebd., S. 204.
[8] Ivo Kranzfelder: ‚Photographie automatique‘. Anwendungsweisen der Automatenfotografie, in: Fotogeschichte, 7. Jg., 1987, Nr. 26, S. 45-50.
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