Eva Tropper
Postkarten als Objekte denken
Eine neue Website am GrazMuseum
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 145, 2017
Etwa zeitgleich mit der Wende zum digitalen Bild ist in der Auseinandersetzung mit Fotografie vor allem die Frage der Materialität in den Vordergrund gerückt. Dass Bilder nicht einfach visuelle Inhalte liefern, sondern Objekte sind, die in unterschiedlichen Bezügen stehen, kann als Konsens neuerer Forschung bezeichnet werden.[1] Damit stellen sich auch neue Herausforderungen für die Erschließung und digitale Repräsentation. Indem die letztere nämlich, so Joanna Sassoon, dreidimensionale Artefakte auf zweidimensionale Digitalisate reduziere und ihres Kontextes beraube, bestehe die Gefahr einer drastischen Verengung auf den Bildinhalt, der das Gros der Netzangebote bestimme.[2] Wesentlich scheint daher die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, das Objekthafte der Fotografie in der Onlinebereitstellung dennoch zu thematisieren und zugänglich zu machen. Am GrazMuseum wurde diese Frage im Rahmen der Erschließung und Digitalisierung der Postkartensammlung gestellt, die mit der Unterstützung des Photoinstituts Bonartes (2012–2014) und des Repositorium Steirisches Wissenschaftserbe (2015–2017) konzipiert und schließlich umgesetzt werden konnte.
Dass an Postkarten vor allem die Ansichten relevant seien – und weniger ihre materialen Aspekte als beschreib- und verschickbare, in vielfältigen Zusammenhängen des Gebrauchs stehende Objekte – , ist eine tief verankerte Wahrnehmung, die schon in den populärwissenschaftlichen Normierungen des Sammelns von Postkarten um 1900 grundgelegt wurde.[3] Viele institutionelle Postkartensammlungen gehen auf die Zeit der ersten massenhaften Verbreitung des Mediums zurück oder wurden im Lauf des 20. Jahrhunderts als topografische bzw. thematische Bildersammlungen eingerichtet, die sie in der Regel bis heute blieben. Neu zugehende Konvolute, aber auch Alben wurden üblicherweise aufgelöst und die Karten auf den topografischen Apparat aufgeteilt, womit Kontexte der Provenienz, des Gebrauchs und der kommunikativen Funktion des Mediums einer ausschließlich am Bildinhalt orientierten Sammlungslogik untergeordnet wurden. Es ist eine Folge dieser Konzeptualisierung des Sammelobjekts Postkarte, dass auch im Übergang zur Digitalität die „andere Seite“ der Postkarte kaum Berücksichtigung findet.[4] Sieht man sich allerdings die Entwicklungen in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem populären Massenbildträger an, so steht dieser Trend quer zu den Bedürfnissen, die Forschende im Zusammenhang mit Postkarten zusehends artikulieren.
Denn nachdem das Medium aufgrund seiner Genese aus der Massenkultur über Jahrzehnte eher geringgeschätzt worden war, erfolgte eine umfassende Neubewertung im Zuge der kulturalistischen Wende ab den 1990er Jahren. Die Postkarte wurde nun zusehends als ein Objekt begriffen, an dem sich historische Wahrnehmungen und Sinnzuschreibungen anlagern und das so eine wertvolle Quelle für die Analyse gesellschaftlicher Symbolhaushalte und Diskurse darstellen kann. Neue Fragestellungen kamen aus der Ethnologie ebenso wie aus der Geschichtswissenschaft, aus der Soziologie und der Sprachwissenschaft. Unabhängig von den jeweils gewählten, vielfach interdisziplinären Fragestellungen lässt sich sagen, dass der spezifische Quellenwert der Postkarte gerade in der Verknüpfung kollektiver Bildmuster mit ihnen zugeordneten historischen Gebrauchsformen gesehen wird, mithin in der Möglichkeit, die Karten zu wenden und ihre bildlichen ebenso wie ihre schriftlichen und postalischen Elemente zu entziffern.
Die gängige Praxis, nur die Bildseiten digital zur Verfügung zu stellen, ist aus Sicht der Forschung daher als massive Beschneidung des Quellenwerts von Postkarten einzuschätzen. Kommt es hier jedoch zu einer Neuorientierung, so könnte historische Forschung künftig auch entscheidend von Digitalisierungsprojekten profitieren. Denn umgekehrt sind viele Forschungsfragen im Zusammenhang der physischen Sammlungen nicht zu beantworten. Nicht von ungefähr gibt es noch so gut wie keine Arbeiten zu Kontexten der Produktion von Postkarten, da Hersteller, Verlage und deren Sortimente ausgehend von der topografischen Ordnungslogik der Sammlungen kaum beforschbar sind. Auch lässt sich innerhalb topografisch geordneter Sammlungen nicht nach Themen suchen, was viele Fragestellungen von vornherein ausschließt. Die Onlinebereitstellung bietet gewissermaßen die Chance, alte Ordnungssysteme durch neue zu ergänzen und verlorene Zusammenhänge wiederherzustellen.[5] Unabhängig davon, welcher Art die Forschungsfragen sein werden, die in Zukunft an Postkartenbestände gestellt werden – eine Frage, die sich natürlich in keiner Weise abschätzen lässt[6] – , ging es daher in der Konzeption der Seite am GrazMuseum darum, die unterschiedlichen Ebenen des Objekts Postkarte möglichst zugänglich zu machen.
Eine Grundentscheidung bestand dabei darin, beide Kartenseiten als Digitalisate zur Verfügung zu stellen und eine möglichst praktikable Handhabbarkeit zu gewährleisten. Der IllF-kompatible Image Viewer ermöglicht nicht nur ein gleichwertiges Wechseln zwischen Bild- und Adress-Seite, sondern erlaubt es auch, die Karten in die jeweils angemessene Leserichtung zu drehen und entsprechend zu vergrößern, um handschriftliche Texte, aber auch Elemente wie Stempel, Verlegerdaten, Seriennummern oder Händlervermerke möglichst gut entziffern zu können. Ränder und Gebrauchsspuren der Karten wurden nicht beschnitten, sondern mit reproduziert, um die Materialität des Bildträgers zu thematisieren. Die Erschließung und Anreicherung mit Metadaten ging zum Teil über gängige Erschließungsmodalitäten hinaus und orientierte sich daran, die Materialität der Postkarte und historische Kontexte des Gebrauchs mit zu berücksichtigen. So wurden (neben Orten, Zeiträumen, HerstellerInnen und Schlagworten) auch die historischen Reproduktionsverfahren erfasst, die im Digitalisat nicht ersichtlich wären; ein eigener Menüpunkt stellt dazu vertiefte Informationen und Mikrofotografien zur Verfügung. Nicht alle Aspekte der Erschließung konnten online zur Verfügung gestellt werden. So ist die Durchsuchbarkeit des Bestandes nach Empfängern, die es ermöglicht, Korrespondenzbeziehungen und vormals zusammengehörige Konvolute sichtbar zu machen, aus datenschutzrechtlichen Gründen nur vor Ort im GrazMuseum möglich. Ein Ergebnis dieser Recherchemöglichkeit wurde aber genutzt, um im Menüpunkt „Geschichten“ anhand der „Karten an Julia“ zu zeigen, was die Analyse eines solcherart neu zusammengeführten Konvoluts erzählen kann. Und schließlich wurde die Ebene des Gebrauchs auch in Bezug auf die Wege der Karten thematisiert. Denn was Postkarten – auch – sichtbar machen können, ist das „Wegenetz des Bildverkehrs“,[7] das sich ausgehend von einem Ort etabliert hat und so historische Kommunikationsräume rekonstruierbar macht. Der Bestand lässt sich auf diese Weise nach unterschiedlichen Gesichtspunkten durchqueren und filtern. In diesem Versuch, der topografischen Ordnung Alternativen zur Seite zu stellen, soll sich zugleich – so das Anliegen – der Blick auf die mediale Vielschichtigkeit der Postkarte neu einrichten.
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[1] Vgl. u.a.: Miriam Y. Arani: Fotografien als Objekte – die objektimmanenten Spuren ihrer Produktions- und Gebrauchszusammenhänge, in: Irene Ziehe, Ulrich Hägele (Hg.): Fotos – „schön und nützlich zugleich“. Das Objekt Fotografie, Berlin 2006, S.29-44.
[2] Joanna Sassoon: Photographic materiality in the age of digital reproduction, in: Elizabeth Edwards, Janice Hart (Hg.): Photographs Objects Histories. On the materiality of images, London, New York 2004, S.186-202.
[3]Vgl. Alfred Metzner: Wie sollen wir sammeln?, in: Centralblatt für Ansichtskartensammler, Heft 1, 1898, S.3-4. Zu den Normierungsdebatten im Rahmen einer Kultur des „gelehrten Sammelns“ von Postkarten um 1900 vgl. das Kapitel „Ordnende Praxis“ bei Felix Axster: Koloniales Spektakel in 9x14. Bildpostkarten im Deutschen Kaiserreich, Bielefeld 2014, S.169-207.
[4] Vgl. Michael Mente: Ansichtskarten sind Ansichtssache – Bilder, Grüße und Metadaten: Über den Wert topografischer Ansichtskarten in Archivbeständen und Einsichten in Fragen ihrer archivischen Erschliessung, Chur 2016 (=Arbeitsbereich Informationswissenschaft 81), S.112.
[5] Elke Bauer: Bildarchive im digitalen Wandel: Chancen und Herausforderungen, in: Irene Ziehe, Ulrich Hägele (Hg.): Fotografie und Film im Archiv. Sammeln, Bewahren, Erforschen, Münster u.a. 2013, S.27-38, hier S.29.
[6] Vgl. Peter Pfrundner: Aufwerten, umwerten, abwerten. Vom Fotoarchiv zum kulturellen Gedächtnis, in: Nora Mathys, Walter Leimgruber, Andrea Voellmin (Hg.): Über den Wert der Fotografie. Zur wissenschaftlichen Bewahrung von Fotosammlungen, Baden 2013, S.30-41, hier S.31.
[7]Anton Holzer: Naserümpfend am Postkartenstand. Was Ansichtskarten erzählen können (wenn man sie lässt), in: Otto Hochreiter, Margareth Otti (Hg): Hier ist es schön. Grazer Ansichtskarten, Salzburg 2007, S.75-87, hier S.87.
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