Katharina Steidl
Vintage Prints – Das Phänomen des ersten Abzugs
Timm Rautert: Vintage, hg. von Gerhard Steidl, Göttingen: Steidl, 2017, 99 S., 23,8 x 31 cm, zahlreiche Abb. in S/W und Farbe, gebunden mit Schutzumschlag, 48 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 147, 2018
Seit geraumer Zeit wird versucht dem nicht eindeutig geklärten Begriff des Originals innerhalb der Fotografie näherzukommen. So durchkreuzen die Fotografietheorie Nomenklaturen wie „Vintage Print“, „Artist Print“ oder „Modern Print“, um damit selbst erstellte Abzüge des/der Fotografen/in von späteren Nachdrucken zu differenzieren. Insbesondere am Kunstmarkt wird auf diese Unterscheidung großer Wert gelegt, da nur jene in der Dunkelkammer angefertigten und im Anschluss autorisierten Positivabzüge den Intentionen des/der Künstlers/in entsprechen und, so heißt es, den höchsten Grad an Authentizität aufweisen. Diese als „Vintage Prints“ bezeichneten Fotografien entstehen durch die gezielte Arbeit im Fotolabor: Das Erscheinungsbild des Positivs wird durch die Wahl des Bildausschnitts, des Bildträgers, der Belichtungszeit und andere Bearbeitungsschritte wie beispielsweise. das „Abwedeln“ oder Nachbelichten verändert und den eigenen Anforderungen angepasst.
Ursprünglich aus dem Weinhandel übernommen, verweist der Begriff „Vintage“ auf den unmittelbar ablesbaren künstlerischen Ausdruck und die Originalität des Abzugs, aber auch auf die begrenzte Zugänglichkeit am Kunstmarkt.[1] Der einstmals aufgrund der Fotografie inhärenten technischen Reproduzierbarkeit attestierte „Verlust der Aura“ erhält durch die Zuschreibung als Vintage Print eine Aufwertung als Unikat und insofern eine Re-Auratisierung. Diese Begriffsverwendung hat folglich Auswirkungen auf die ästhetische Wertzuschreibung, die historische Einordnung und die monetäre Bemessungsgrundlage von fotografischen Bildern. Darüber wurde zuletzt im Juni 2017 im Rahmen der interdisziplinären Tagung der DGPh „Vintage – Ein Begriff macht Photographie-Geschichte“ diskutiert. Als Teil einer auf Fragen der fotografischen Reproduktion fokussierenden Tagungsserie bestand die Aktualität der Thematik in der fehlenden Begriffsdefinition des „Vintage Prints“, die vor allem in der uneinheitlichen und unverbindlichen Bestimmung desselben zu sehen ist. Ehemals nur auf Schwarzweiß-Fotografien angewandt, stellten die Organisatoren eine zunehmende Begriffsübertragung auf die Farbfotografie fest und prognostizierten darüber hinaus eine zu erwartende Erweiterung auf das Feld der Digitalfotografie. Auch das Fotomuseum Winterthur organisierte bereits 2005 ein Symposium zum Thema „Das Original – ein fotografischer Begriff in Auflösung“, bei der nicht so sehr die Klärung der Begrifflichkeiten von „Vintage Print“, „Artist Print“ oder „Neuauflage“ im Vordergrund stand, sondern auf die Vergänglichkeit und zeitlich limitierte Haltbarkeit fotografischer Abzüge und damit auf die Notwendigkeit von nachträglichen Kopien hingewiesen wurde.[2]
Einen persönlichen Zugang zur Thematik wählte der Fotograf Timm Rautert nun mit seiner im Steidl Verlag erschienenen Publikation „Vintage“. In Form eines Fotobuchs stellt Rautert künstlerische Erstabzüge vor, die um Fachbeiträge von Manfred Heiting, Martin Jürgens und Gerhard Steidl ergänzt werden. Eingeführt wird der Band mit der Feststellung, dass Sammler/innen im Zeitalter der zunehmenden Digitalisierung und schwindenden analogen Materialien dem Vintage Print, dem „König der Abzüge“ (S. 7), besonderes Augenmerk schenken. Daran anschließend werfen die Autoren die Frage auf, ob sich objektive Unterschiede zwischen Erstabzug und neueren Abzügen feststellen lassen oder ob rein die „Empfindung des Fotografen oder des Connaisseurs“ zählt? Erklärtes Ziel ist es, „den Begriff im Kontext der Fotografie und seine nicht unkomplizierte Übertragung in den Druck“ (S. 7) zu erörtern.
Timm Rauterts Bildband stellt insgesamt 46 Vintage Prints der Jahre 1969 bis 1970 vor, die in New York und Osaka hergestellte Aufnahmen des Künstlers zum Vorbild haben. In hoher Druckqualität werden teilweise mehrere positive Abzüge eines einzelnen Negativs in direktem doppelseitigen Bildvergleich gegenübergestellt, wodurch die Leserschaft Unterschiede in Ausschnittwahl oder Belichtungsdauer auf visuellem Wege erschließen kann. Unterbrochen wird das Fotobuch durch den tagebuchartig komponierten Text Rauterts „Dunkelkammer – Wunderkammer“, der die Arbeit im Fotolabor der Folkwangschule in Essen zur Entstehungszeit der im Buch abgebildeten Fotografien thematisiert. Mit seinem Beitrag „Fotopapier – Das tragende Element“ verlagert der Fotorestaurator Martin Jürgens die Beantwortung der Frage, weshalb eine größere Wertschätzung für Erstabzüge gegenüber späteren, ebenfalls durch den/die Fotografen/in erstellten Abzügen (Reprints) herrscht, auf eine Analyse der unterschiedlichen Papierqualitäten, ihrer zu erwartenden Lebensdauer und dem damit zusammenhängenden ästhetischen als auch monetären Wertverlust. Neben der Nennung von aus konservatorischer und restauratorischer Sicht sicherlich aufschlussreichen Internetplattformen sowie Buchpublikationen zur Thematik der Fotopapieridentifikation, beschließt Jürgens seine Abhandlung mit einer Betonung des Vintage Prints als Fotoobjekt.[3] Die „Einzigartigkeit des Vintage Prints“ liege demnach nicht nur im „Instinkt“ (S. 47) des/der Fotografen/in, sondern auch in den mannigfaltigen Gebrauchsweisen und Alterungsprozessen, denen Fotografien ausgesetzt sind. Der Sammler Manfred Heiting stellt mit „Wie uns Originale das Sehen lernen“ die auratischen Qualitäten von Kunstwerken, aber auch von Fotografien in den Vordergrund seiner Analyse. Auch in diesem Beitrag wird der Fokus auf den Abzug als „handgefertigtes Objekt“ (S. 84) gelegt – aus einem singulären Negativ lassen sich zahlreiche Variationen unterschiedlich erscheinender Positivabzüge herstellen, wodurch die „interpretatorischen Fähigkeiten“ des/der jeweiligen Fotografen/in betont werden konnten. Im Anschluss an den Text wird unter Ausschluss weiblicher Protagonistinnen eine eingehende Untersuchung von Erstabzügen „verschiedener Meisterfotografen“ (S. 85) wie Ansel Adams oder August Sander in Aussicht gestellt. Eingelöst wird dies jedoch nicht, da eine exemplarische Bilderschau lediglich um knappe Statements ergänzt wird. Im abschließenden Beitrag von Gerhard Steidl mit dem Titel „Die Dunkelkammer – meine Druckmaschine“ gilt der Versuch des Verlegers das Konzept des Vintage Prints auf den Druckvorgang der Fotobuchproduktion zu übertragen. Auch in dieser Analyse stehen die materiellen Bedingungen bzw. der handwerkliche Aspekt im Vordergrund. Steidl geht dabei von der These aus, dass die „Erfahrungspotentiale aus der Dunkelkammer“ sich auch „auf die Arbeit an einer industriellen Druckmaschine“ übertragen lassen und Fotodrucke erzeugen, „die einem sorgfältig ausgearbeiteten Vintageprint nicht nachstehen“ (S. 91). So können direkt an der Druckmaschine Manipulationen der Farbsättigung, Farbkombinationen oder unterschiedliche haptische Gradationen in Absprache mit dem/der Künstler/in erzeugt werden. Außer Acht gelassen wird bei dieser Argumentation jedoch, dass es sich im Falle des Vintage Prints um ein Unikat handelt, das individuell in der Dunkelkammer angefertigt wird. Eigens an der Druckmaschine erzeugte Künstlerbücher erscheinen jedoch zumeist in einer mehrstelligen Auflage, wodurch ein diesbezüglicher Vergleich nicht haltbar ist.
Die knapp 100 Seiten umfassende Publikation „Vintage“ wird durch separat am Buchende angeführte Bildlegenden sowie einen kurzen Glossar Jürgens’ beschlossen.
Leser und Leserinnen, die sich einen begriffsgeschichtlichen Überblick oder eine wissenschaftlich fundierte Begriffsklärung in dem nach wie vor uneinheitlichen Verwendungsfeld des Terminus erhoffen, werden vermutlich enttäuscht sein. Auch auf eine gendersensible Sprachlichkeit bzw. eine Einbeziehung weiblicher Fotografinnen wurde verzichtet. Nichts desto trotz ist es Rauterts Band zugute zu halten, dass der Aspekt der Materialität sowie das „Handwerk“ bei der Beurteilung von Erstabzügen in den Vordergrund gerückt wird.
[1] Siehe dazu: Carola Lentz und Freddy Langer, Alte Sachen. Ein Gespräch mit Sonja Asal und Ulrich Raulff, in: Zeitschrift für Ideengeschichte, 10/1, 2016, S. 12-28.
[2] Tagungsbericht von Wolfgang Seidel: Ders., Der Begriff des Originals, in: Rundbrief Fotografie, 12/3, 2005, S. 36-39.
[3] Siehe dazu bspw.: www.graphicsatlas.org; www.moma.org/interactives/objectphoto.
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