Joachim Sieber
Fotografien in Zeitschriften
Editorial
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 164, 2022
Wer heute analog oder digital in Zeitschriften blättert wird selbstverständlich mit diversen Fotografien konfrontiert, die in ganz unterschiedlicher Art und Weise auf den jeweiligen Doppelseiten platziert und reproduziert wurden. Die Ursprünge der Reproduktion von Bildern im seriellen Medium Zeitschrift liegen im späten 17. Jahrhundert, wo etwa in der Beilage Extraordinaire zur französischen Zeitschrift Mercure Galant (1678–1710) aktuelle Modeentwürfe als ganzseitige Figurenporträts publiziert wurden.[1] Bis die Fotografie jedoch Eingang in die Zeitschrift fand, sollte es nochmals rund 200 Jahre dauern. Zwar wurde die Fotografie bereits ab den 1860er Jahren als Vorlage für Holzstiche verwendet,[2] für die Reproduktion von Fotografien in Printmedien aber waren die technischen und kommerziellen Voraussetzungen erst im Laufe der 1890er Jahre erfüllt.[3] Das Potenzial dieser seriellen Reproduzierbarkeit konnte schon erahnt werden, als die Fotografie – etwa als Carte de Visite – zu einem Objekt der Zirkulation und des sozialen Austausches wurde. Als Objekt wurde die Fotografie zu einer Ware, ein kommerzielles System entstand, das die Herstellung und Verteilung regelte sowie Strategien der Repräsentation der abgebildeten Welt entwickelte. Dabei war die Zeitschrift ein wichtiges Organ zur Distribution und Rezeption von Fotografien wie auch deren Geschichte. Ihre spezifische Medialität zeichnet sie jeweils auch als Zeitdokument aus; dabei spielen die Materialität, das Verhältnis von Bild und Text oder auch die Art der Montage von Fotografien auf den Einzel- und Doppelseiten zentrale Rollen, die wiederum die visuelle Kultur einer Gesellschaft prägen.
Die Zeitschrift als Gegenstand der Fotografieforschung war noch in den 2000er Jahre ein Desiderat, welche durch Publikationen zur Avantgardezeitschrift document von Georges Didi-Huberman und zur Pariser Illustrierrten VU von Michel Frizot und Cédric de Veigy vertieft begegnet wurde.[4] Den beiden zentralen Herausforderungen der Interdisziplinarität und der Serialität des Forschungsgegenstandes wurde im deutschsprachigen Raum etwa mit dem Projekt zu illustrierten Magazinen der Klassischen Moderne des Medienwissenschaftlers Patrick Rössler und der Kunsthistorikerin Katja Leiskau begegenet, womit rund 75.000 Druckseiten und über 50.000 Abbildungen – auch Fotografien – online zugänglich gemacht wurden. Damit wurden technische wie auch methodologische Grundlagen geschaffen, um der Zeitschriftenforschung neuen Schub zu verleiten.[5] Dank der seit den 2010er Jahren verstärkten Digitalisierung von Zeitschriftenbeständen in Bibliotheken und Archiven sind nebst qualitativen auch quantitative Analysemöglichkeit einfacher realisierbar. Sie ermöglichen neue theoretische und methodische Herangehensweisen an die Zeitschriftenforschung aus dem Umkreis der Disziplinen Literatur-, Kunst und Kulturwissenschaften sowie der Medienwissenschaften.[6] Inwieweit es in der Fotografieforschung als eine logische Folge der umfangreichen internationalen Fotobuchforschung angesehen werden kann, dass nun (auch) der Zeitschrift als Publikations- und Diskursmedium ein besonderes Interesse widerfährt, kann hier nur als These aufgeworfen werden.[7]
Das vorliegende Themenheft beleuchtet Fragen der Zirkulation von Fotografien in und durch Zeitschriften aus verschiedenen Blickwinkeln und Disziplinen. Es wirft die Frage auf, welche Rolle die Fotografie für die Verbreitung von ästhetischen und ideologischen Diskursen in Zeitschriften einnimmt und wie deren Wiederverwendung und Rezeption durch das Medium Zeitschrift stattfand. Dabei werden Vergleiche zu anderen Medien wie der Ausstellung, dem Fotobuch und dem Film gezogen sowie auch die Mechanismen der Zirkulation von Fotografien angesprochen, die nach der Publikation einer Zeitschrift in der Bibliothek und dem Archiv stattfinden können. So zeigt Katharina Täschner ausgehend von ihrer Recherche in Paris zu illustrierten Magazinen der französischen Zwischenkriegszeit wie deren Boom die damalige bibliothekarische Ordnung sprengte und wie heute deren digitale wie physische Konsultation und Rezeption nur in mehreren Etappen zu bewältigen ist. Sarah Edith James analysiert in ihrem Beitrag die Translokation des avantgardistischen Neuen Sehens nach London anhand der visuellen Strategien der gesellschaftspolitisch aufgeladenen fotografischen Juxtapositionen des ungarischen Fotografen und Editors Stefan Lorants, die zwischen 1937 und 1940 im Londoner Magazin Lilliput erschienen sind. Vincent Fröhlich zeichnet in seinem Beitrag nach wie Filmzeitschriften Fotografien wie Filmstills und für Filme produzierte Porträts zu einem Bildkanon zusammenfügen und wie sie durch spezifische Layouteingriffe der Präsentation, Kombination und Kontextualisierung zu einer eigenen Medienästhetik finden. Muriel Willi untersucht anhand der Fotozeitschrift Camera die zirkulierenden gestalterischen Ideen und personellen Verbindungen mit der 1952 in Luzern stattgefundenen Weltausstellung der Photographie, womit das Ziel verfolgt wurde, in Anlehnung an André Malraux’ «musée imaginaire» ein Museum ohne Wände in Form einer Zeitschrift zu realisieren. Alice Morin und Jens Ruchatz gehen in ihrem Beitrag zur Fotografie in der Modezeitschrift ausgehend von Irving Penns Fotografien für das Modemagazin Vogue der Frage nach, wie eine auf Periodizität und Miszellaneität angelegte Zeitschrift mit der Autorschaft eines Fotografen einhergehen kann und wie sich diese auch strategisch für die Zeitschrift nutzen respektive fördern lässt.
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[1] Vgl. Joan DeJean: The Essence of Style. How the French Invented Fashion, Fine Food, Chic Cafés, Style, Sophistication, and Glamour. Free Press, New York 2005, S. 35–82.
[2] Thierry Gervais: Shifting Images, in: François Brunet (Hg.), Circulation (= Terra Foundation Essays 3), Chicago 2017, S. 78–111, hier S. 80–99.
[3] Vgl. hierzu auch Philipp Ramer, Christine Weder (Hg.): Fotografie und Text um 1900, Fotogeschichte, Heft 153, 2019.
[4] Michel Frizot, Cédric de Veigy: Vu. Le magazine photographique. 1928–1940, Paris 2009; Georges Didi-Huberman, Formlose Ähnlichkeit, oder die Fröhliche Wissenschaft des Visuellen nach Georges Bataille, München 2010 [1995].
[5] Vgl. Patrick Rössler, Achim Bonte, Katja Leiskau, Digitization of Popular Print Media as a Source for Studies on Visual Communication: Illustrated Magazines of the Weimar Republic, in: Historical Social Research / Historische Sozialforschung, Jg. 37, Heft 4, 2012, S. 172–190, vgl. auch https://www.arthistoricum.net/themen/textquellen/illustrierte-magazine-der-klassischen-moderne/ueber-das-projekt (Zugriff: 23.3.2022).
[6] Vgl. dazu u. .a die Forschergruppe Journalliteratur, https://journalliteratur.blogs.ruhr-uni-bochum.de/ (Zugriff: 23.3.2022) sowie der Arbeitskreis kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung, https://www.zfl-berlin.org/projekt/kulturwissenschaftliche-zeitschriftenforschung.html (Zugriff: 23.3.2022).
[7] Beispielhaft sei hier auf die umfangreiche Ausstellung zur Zeitschrift Fotografie. Zeitschrift internationaler Fotokunst hingewiesen, vgl. dazu Reinhard Matz, Steffen Siegel, Bernd Stiegler: Wolfgang Schulz und die Fotoszene um 1980, Leipzig 2019; jüngere Digitalisierungsprojekte können hier etwa für die Fotozeitschrift Camera Work erwähnt werden, welche von der Forschungsstelle für Theorie und Geschichte der Fotografie an der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg realisiert wurde, vgl. https://www.khist.uzh.ch/de/chairs/bildende/tgf/Projekte_Publikationen/camera_work.html (Zugriff: 23.3.2021) resp. https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/camera_work (Zugriff: 15.9.2021) wie auch das Forschungsprojekt Art global et périodiques culturels vom Institut national d’histoire de l’art (INHA) in Paris, in welchem rund 1000 nicht-europäische Kulturzeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts online zugänglich gemacht wurden, vgl. https://sismo.inha.fr/s/fr/page/welcome (Zugriff: 23.3.2022).
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