Bernd Stiegler
Fotopionier, Abenteurer, Unternehmer
Eine Werkbiografie zu Francis Frith
Julia Skinner: A Grand Spell of Sunshine. The Life and Legacy of Francis Frith, The Francis Frith Collection, Salisbury 2022, 401 Seiten mit zahlreichen z.T. farbigen Abbildungen, , 35 £.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 168, 2023
Francis Frith ist nicht nur einer der interessantesten englischen Fotografen des 19. Jahrhunderts, sondern auch der Gründer der neben dem Studio der Fratelli Alinari ältesten Fotofirma der Welt. Als aber „F Frith & Co“ 1970 nach 110 Jahren den Betrieb einstellte, sollten die Gebäude abgerissen und die Archive entsorgt werden. Es kam seinerzeit dank der Initiative von Bill Jay, der am Institute of Contemporary Art in London Fotografie unterrichtete, zu einer Rettung in letzter Minute. Die ca. 250.000 Abzüge und 60.000 Glasnegative fanden samt den umfangreichen Firmenarchiven eine neue Bleibe. Heute befindet sich das neu gegründete Archiv in Chilmark in der Nähe von Salisbury und tut das, was Francis Frith und seine Nachfolger auch schon taten: Fotografien von über 8.000 britischen Städten, Orten und ihren Sehenswürdigkeiten sowie aus einigen weiteren Ländern des ehemaligen Empire und Europa verkaufen. Heute sind es aber, anders zu Zeiten von Francis Frith, historische Aufnahmen, die auch ihre Zweitverwertung in Gestalt von Merchandising-Produkten wie bedruckten Tassen, Kissen, Kalendern und auch Tapeten finden. Und man arbeitet natürlich nicht mehr wie früher mit Glasnegativen, sondern mit digitalisierten Bildern. Auf der Website (https://www.francisfrith.com/) kann man das Archiv erkunden und virtuelle Reisen durch das Empire unternehmen. Die Francis Frith Collection hat noch dazu im Laufe der letzten Jahre nicht weniger als 1.100 Bücher herausgegeben, die zumeist einzelnen Orten in Großbritannien gewidmet sind.
Der 200. Geburtstag von Francis Frith im letzten Jahr war Anlass, dem illustren Gründer der Firma eine umfassende Monografie zu widmen. Es ist zugleich die erste ihrer Art, da es bisher keine Werkdarstellung gab, wohl aber einschlägige Publikationen zu seinen Orientreisen und zu seiner Firma. Auch eine bis heute unveröffentlichte Autobiografie aus dem Jahr 1884 ist erhalten, auf die Julia Skinner insbesondere bei ihrer Rekonstruktion der frühen Reisen zurückgreift. Der zweite Untertitel „Victorian adventurer, pioneer photographer and creator of the first photographic record of Britain” verrät bereits das Programm ihres Buchs. Abenteurer, Fotopionier und Unternehmer – das sind die drei Leitsterne, die das Narrativ des Lebens des Fotografen ausrichten. Frith gehört zu den Pionieren der englischen Fotografie, unternahm zwischen 1856 und 1860 drei groß angelegte fotografische Expeditionen nach Ägypten und in das Gelobte Land, aber auch in den Sudan, die man fraglos als abenteuerlich wird bezeichnen können. Und er war bereits vor seiner Tätigkeit als Fotograf ein wohlhabender Geschäftsmann, der dann nach der Orientreise in seiner neu gegründeten und rasch expandierenden Firma erst neben eigenen Fotografien auch Abzüge von u.a. Alfred Rosling, Francis Bedford und Roger Fenton vertrieb und dann systematisch Fotografen in die Welt entsandte, um sie fotografisch zu erfassen. Von Fenton hatte er seinerzeit sogar einen Teil der Negative erworben, da dieser 1862 das Fotografieren aufgegeben hatte. Die nachgerade flächendeckende fotografische Dokumentation war ein überaus erfolgreiches Geschäftsmodell, das zudem als Nebeneffekt die Erstellung eines bis heute eindrucksvollen Bildarchivs hatte.
Die besondere Position der Autorin, die Zugang zu einer Fülle bis dahin nicht oder kaum erschlossener Materialien hatte, aber auch Repräsentantin der Frith Collection ist, hatte fraglos Anteil an der Gestaltung des Buchs, das einerseits kenntnisreich Werk und Wirken des Fotografen darstellt, andererseits aber auch die Tendenz hat, der neu geschaffenen Institution einen nicht unerheblichen Platz einzuräumen. Es ist vermutlich auch dieses Interesse, das dazu geführt hat, dass im Buch nicht selten historischen Ansichten, die von Frith und seinen Mitarbeiter*innen angefertigt wurden, heutige Bilder derselben Orte gegenübergestellt werden. Ähnlich problematisch ist der Wechsel bei der Farbe der Reproduktion der Abzüge, die munter zwischen sepiabraun und grau wechseln. Gelegentlich werden zudem auch – ästhetisch wenig überzeugend – neuzeitliche farbige Abbildungen ergänzt. Am Ende – im Kapitel „Francis Frith’s Legacy“ – tritt dann auch die fotohistorische Darstellung zugunsten einer Kommentierung zahlreicher Fotografien in den Hintergrund, die aus der Zeit vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre stammen.
Der Fokus des Buchs liegt auf einer Werkbiografie, die historischen Fakten und biografischen Erzählungen den Vorzug gegenüber theoretischen Fragen gibt. So wird etwa die bereits von Douglas Nickel filigran herausgearbeitete biografisch-religiöse Motivation der Orientreise zwar breit dargestellt, ohne aber ins Detail zu gehen und diese anhand von Bildinterpretationen zu entfalten.[1] Rekonstruiert werden hingegen sehr genau und mitsamt Belegen aus seinen theologischen Schriften die religiösen Überzeugungen von Frith, der als Quäker und Fotograf nach der Evidenz und „faithfulness“ der in der Bibel beschriebenen historischen Stätten suchte und diese auch in seinen Publikationen zu vermitteln unternahm. Daher wurden einige der Bilder auch in Gestalt von Illustrationen einer opulenten Ausgabe der Bibel veröffentlicht. Ausgespart bleibt hingegen der ganze durchaus diskussionsbedürftige Komplex des Orientalismus, der bei Frith ebenso wie bei anderen Fotografen seiner Zeit unübersehbar ist.
Ähnliches gilt dann auch für das weite Feld der Aufnahmen, die zahlreiche, im Buch z.T. auch erfreulicherweise namentlich genannten Fotografen im Auftrag der Firma angefertigt haben. Mit der Gründung der Firma werden die Bilder nicht mehr signiert, sondern tragen zumeist entweder einen einheitlichen Trockenstempel der Firma oder einen einbelichteten Nachweis. Bemerkenswerterweise haben sie aber gleichwohl einen durchaus wiedererkennbaren Stil, der vermutlich vorgegeben war. Einige der Fotografen – wie etwa Frank Mason Good und Alexander Svoboda – haben zudem auf eigene Rechnung ihre – nun signierten – Abzüge vertrieben. Auch diese und andere Parallelaktionen hätten durchaus berücksichtigt werden können, da sie pars pro toto für die komplexe Gemengelage stehen, die für die Studioproduktion dieser Zeit insgesamt charakteristisch ist. Ähnliches gilt auch für andere Studios dieser Zeit, bei denen der Name keineswegs ein Garant dafür ist, dass es sich hierbei auch um den Fotografen der jeweiligen Aufnahme handelt. Die theoretischen Fragen, die sich daraus ergeben, wurden zuletzt gerade am Beispiel von „F Frith & Co“ von Jordan Bear in seinem Buch Disillusioned. Victorian Photographers and the Discerning Subject herausgearbeitet, spielen aber bei Julia Skinner keine Rolle.[2] Ihr Interesse liegt eher bei der Vita des Fotografen und der verlässlichen Rekonstruktion seiner Aktivitäten. Für beide Felder bietet das Buch zahlreiche neue Erkenntnisse und Details. Aber es bleiben noch einige Fragen offen. Francis Frith und „F Frith & Co“ ist weiterhin ein ergiebiger Forschungsgegenstand. Und ein großartiger Fotograf ist er noch dazu.
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[1] Vgl. Douglas R. Nickel: Francis Frith in Egypt and Palestine – A Victorian Photographer Abroad, Princeton und Oxford: Princeton University Press 2004.
[2] Jordan Bear: Disillusioned. Victorian Photographers and the Discerning Subject, Pennsylvania: Pennsylvania State University Press, 2015.
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