Hans-Michael Koetzle
„Ich war noch nie von einer Zeitschrift so begeistert“
Katholisches „Gegengift“ zu twen: kontraste – ein vergessenes Magazin der bundesdeutschen sechziger Jahre
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 169, 2023
Schon die Namen lassen aufhorchen. Hier haben, um nur wenige zu nennen, Fotografinnen und Fotografen wie Henri Cartier-Bresson, Inge Morath, Elliott Erwitt, Leonard Freed, Werner Bischof, Stefan Moses, Wolfgang Haut, Robert Lebeck oder Thomas Höpker publiziert. Zeichner wie Saul Steinberg, Paul Flora, Tomi Ungerer, Hans Hillmann oder Günter Kieser fanden sich im Heft. Leserinnen und Leser stießen auf literarische Beiträge etwa von Jules Romains, Heinrich Böll oder Martin Walser. Oder die zum Teil weit ausgreifenden Essays einer eher konservativen, zugleich meinungsbildenden Elite, darunter der Theologe Karl Rahner, der Historiker Gerhard Ritter, der Publizist Ralph Giordano, der Politiker Rainer Barzel, der Satiriker Wolfgang Ebert oder der Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin. Hans Heigert, damals Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung,hat hier veröffentlicht, die Journalistin Margret Boveri, der Dominikanerpater Rochus Spiecker, der Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Nikolas Benckiser, oder Walter Dircks, fraglos einer der führenden Intellektuellen der jungen Bundesrepublik.[1]
Fotografie und Illustration, Analyse und Fiktion, Information und Unterhaltung folglich auf höchstem Niveau, zusammengehalten von einem unerhört frischen, mutigen Layout, das sich nicht scheute, Fotografien angeschnitten über eine Doppelseite zu ziehen, Illustrationen als Kleinkunst ernst zu nehmen und nicht mehr nur zu Vignetten zu degradieren, ideenreich mit Schrift zu spielen und den unbedruckten Raum zum gleichwertigen Partner im visuellen Dialog zu machen. Dergleichen mag in amerikanischen Magazinen nicht gerade Standard, aber doch möglich gewesen sein. Die bundesdeutschen Illustrierten präsentierten sich einheitlich anders, kleinteiliger, provinzieller, zögerlicher im Umgang mit Fotografie und Illustration, ältlich im Rückgriff auf schmückende Elemente, und selbstverständlich wurde jeder Quadratzentimeter Papier genutzt, wenn nicht für Redaktion, dann in jedem Fall für gedruckte Werbung. Leserbriefe bestätigen das Besondere nicht zuletzt der Optik. Er finde „diese Zeitschrift in ihrer grafischen Gestaltung mehr als vorzüglich“, schrieb etwa der Fotograf Paul Almasy aus Paris: „Sie ist in gewissem Sinne geradezu bahnbrechend.“[2] Ein „Kleinod in unserer sonst so trüben Illustriertenflut“, nannte sie ein Leser aus Köln.[3] Und eine weitere Stimme meinte ebenso knapp wie dezidiert: „... die beste Zeitschrift, die im Augenblick in der Bundesrepublik vertrieben wird.“[4]
Die Rede ist von den kontrasten, einer „Illustrierten für junge Menschen“ bzw. „junge Erwachsene“, wie Heft 3/1961 im Untertitel die Zielgruppe definierte. Initiiert, konzipiert und auf den Weg gebracht hatte das Heft der streitbare Publizist Dr. Hermann Boventer (1928–2001), Medien- und Sozialethiker, Redakteur, tätig in der Erwachsenenbildung, Lehrbeauftragter, langjähriger Vorsitzender der Gesellschaft Katholischer Publizisten und als Autor bzw. Herausgeber verantwortlich für Schriften mit bezeichnenden Titeln wie Ethik des Journalismus[5] oder Medien und Moral.[6] Nicht nur hatte Boventer die Idee zu den kontrasten, und wohl auch der Name der Zeitschrift ging auf sein Ideenkonto. Boventer war es auch, der die Themen setzte, die schreibenden Autorinnen und Autoren rekrutierte und jedenfalls bis 1965 als „Chefredakteur“ die redaktionelle Ausrichtung bestimmte. Zusammen mit Erich Priester, „dem damaligen Ausstatter und Bildredakteur“, habe er die kontraste „zu einer vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift eigenen Stils“ entwickelt, wie es in einem „Dank“ anlässlich des Ausscheidens von Hermann Boventer 1965 hieß. Auch hätten die kontraste ein lebhaftes Echo in der Öffentlichkeit und stetig wachsende Anerkennung gefunden – „als ein Organ der jungen Generation, das es wagte, wirkliche Probleme anzufassen und in einer offenen Sprache zur Diskussion zu bringen.“[7]
Epoche der Lügen und Halbwahrheiten
Wer eine Zeitschrift gründet, ein neues Magazin auf den Markt bringt und es kontraste nennt, hat ein Gegenüber im Blick. Fragt sich, wovon man sich abheben, wozu man eine Alternative formulieren, was genau man publizistisch anders machen möchte. Vermutlich Mitte 1960 kam die erste Nummer der kontraste auf den Markt als eine Art Geschichtsunterricht in gedruckter Form mit Schwerpunkt Nationalsozialismus – Aufstieg, Verbrechen, Widerstand. Allerdings nennt die Ausgabe weder ein Erscheinungsjahr noch eine Heftnummer. Das Impressum spricht von einem „Sonderheft im Christophorus-Verlag, Herder, Freiburg im Breisgau“, wobei man „Sonderheft“ am ehesten wohl mit „Versuchsballon“ umschreiben könnte: Würde sich ein Periodikum im „klassischen“ Illustriertenformat von 35 mal 27 cm, im Schnitt 64 Seiten stark, geklammert und auf holzhaltigem Papier immerhin gut gedruckt auf einem im Prinzip gesättigten Zeitschriftenmarkt behaupten können – noch dazu mit einem anspruchsvollen, betont zeit- bzw. gesellschaftskritischen Konzept? Sicher ist: Bereits Ende des Jahres folgte ein zweites Themenheft mit dem bewusst irritierenden Aufruf „Lügt Freunde lügt“. Heft 3 („Partner in Freiheit“) erschien dann im Frühjahr 1961, Heft 4 („War alles falsch?“) im Herbst. Zur vierteljährlichen und bis Heft 20 durchgehaltenen Erscheinungsweise (März, Juni, September, Dezember) fand man schließlich 1962. Alle zwei Monate und in einem etwas kleineren Format erschienen die kontraste dann ab 1966. Aber da war Hermann Boventer bereits ausgeschieden.
Über die Auflage ist nichts bekannt, aber nachdem das Heft in den ersten Jahren lediglich im Abonnement und über den Buchhandel zu haben war, dürfte sie beträchtlich unter der einer bereits seit April 1959 erscheinenden Jugendzeitschrift gelegen haben, deren freches, provokantes, alle möglichen Tabus tangierendes Auftreten vom Start weg für Aufsehen, wenn nicht für Furore sorgte: twen, die, wie Art Director Henry Wolf einmal meinte, „letzte individualistische Zeitschrift“[8], oder, um Jack Schofield zu zitieren: „It was the most dramatic, the most vivid, the most direct, the freshest, and published photography of a constant quality and level of imagination that had never been matched.“[9]kontraste war, jedenfalls inhaltlich wie intellektuell der katholische Anti-twen, ohne allzu „katholisch“ aufzutreten, allerdings mit einem deutlichen Bemühen um Anspruch und Seriosität im Rahmen einer regelmäßig vorgetragenen Ethik des Journalismus. Im Heft selbst sucht man den Begriff vergeblich, kein Editorial, das twen als „Zielscheibe“ thematisiert hätte. Lediglich in Heft 2/1960 so etwas wie eine Kursbestimmung, ein Programm: „Unsere Epoche fabriziert Lügen, Illusionen, Halbwahrheiten wie die Autos am Fließband“, heißt es da prominent auf der zweiten Umschlagseite. „Und trotzdem möchte selbst der abgebrühteste Lügner nicht gern entlarvt werden. Diese Illustrierte hat die unzeitgemäße Absicht einer ganz und gar altmodischen Tugendpredigt. [...] Mode, Politik, Presse und Film, der Rummel mit Teenager und Twen werden unter die Lupe genommen. Hier wird nicht über die böse Zeit gezetert. Es geht darum, den jungen Menschen von seinen Scheinwelten loszulösen und ihn die Wirklichkeit erkennen zu lassen.“[10]
Eine Art Gegen-twen aus Freiburg
Obwohl die kontraste ab Ausgabe 8/1962 auch an „größeren Zeitschriftenständen“[11] zu haben waren und zeitweise die Bundeszentrale für politische Bildung „große Stückzahlen“[12] abgenommen haben soll: Das Heft erreichte nie die Verbreitung, die Aufmerksamkeit, das Feedback des schon damals und fast noch mehr in einer verklärenden Rückschau gefeierten monatlichen twen, auch wenn der Beitrag aus dem Hause Herder sich in seiner Optik ohne weiteres mit dem Kölner „Rivalen“messen konnte – jedenfalls in der Ära Erich Priester, der bis Heft 11/1963 für „Bildredaktion und Gestaltung“ stand und sich noch gut an ein großes Bundestreffen der katholischen Jugend in Augsburg erinnert. „Darüber wurde viel berichtet in Wort und Bild“, so Priester. „Nach diesem Treffen kam Dr. Boventer, der Pressereferent im Jugendhaus Düsseldorf, zu mir und schlug vor, ein Heft über dieses Treffen zu machen. Wir haben das dann mit dem Verlag besprochen und ein Heft gemacht. Als das dann recht gut gegangen war, hat Boventer den Plan vorgelegt, einen Gegen-twen zu machen. Das war tatsächlich die Vokabel. Der twen machte damals mit seinen ‚gewagten‘ Fotos und Texten Furore – auch bei katholischen Jugendlichen. kontraste war, dem Titel nach, programmatisch das ‚Gegengift‘ zum twen.“[13]
Priester, der nach der doch erfolgreichen Einführung der kontraste vom Stern bzw. Henri Nannen abgeworben worden war, später auch für die Quick oder Zeitschriften wie Akut oder Vital tätig war, zählt zu den bis heute übersehenen, gleichwohl profilierten Gestaltern der westdeutschen fünfziger und sechziger Jahre. Nie hätte sich der eher zurückhaltende Priester als Art Director bezeichnet, ein Label, das sich der weniger bescheidene Willy Fleckhaus, verantwortlich für die Optik des twen, schnell angeeignet hatte – um so nicht zuletzt die visuelle Gesamtverantwortung für sein Heft zu unterstreichen. 1918 geboren, hatte Priester im katholischen Herder Verlag eine Lehre als Schriftsetzer begonnen, bevor der Zweite Weltkrieg seine Ausbildung unterbrach. Den Krieg erlebte er bei der Marine als U-Boot-Offizier, kehrte danach nach Freiburg zurück und beendete seine Lehre, um in der Folge die Gestaltung einer aus heutiger Sicht bescheidenen, seinerzeit allerdings viel beachteten Jugendzeitschrift mit christlicher Ausrichtung zu übernehmen.
Der Fährmann erschien seit Oktober 1945 – und wie anderthalb Jahrzehnte später die kontraste – in dem zu Herder gehörenden Christophorus-Verlag, war also noch vor Gründung der Bundesrepublik und der damit verbundenen Aufhebung des Lizenzzwangs zugelassen worden. In seiner Tendenz wäre das 32 Seiten starke Heft einer wohl eher linkskatholischen Richtung zuzuordnen, was die überwiegend von dem Schriftkünstler Alfred Riedel besorgten, handgezeichneten und in ihrer „Frakturseligkeit“ rückwärtsgewandten Titelschriften leicht vergessen machen. Im Übrigen scheint die Zeitschrift für junge Christen mit ihren Holzschnitten, Zeichnungen, Stichen und schwarz-weißen Fotografien (u. a. von Ruth Hallensleben, Siegfried Lauterwasser, Hans Retzlaff, Kurt Schraudenbach oder Herbert Rittlinger) nicht zuletzt die Ansprüche eines visuell interessierten Publikums bedient zu haben. Speziell der jährlich angebotene Fährmann-Bildkalender mit „seinen 64 Blättern im großen Fährmann-Format“[14]dürfte nicht wenige Abonnenten nachhaltig beeindruckt haben. Guido Mangold etwa, später Mitarbeiter sowohl bei den kontrasten wie bei twen – man erinnert sich an seine erotisch aufgeladenen Porträts der jungen Uschi Obermaier –, gesteht gern, dass es der Fährmann-Bildkalender war, der ihn zu eigener Fotografie angeregt und letztlich den Wechsel in die professionelle Fotografie angestiftet habe.[15]
Schweizer Grafikdesign als Vorbild
Beim Fährmann stieß Erich Priester erstmals auf den jungen Willy Fleckhaus, seit 1947 als Journalist bzw. Redakteur für die Zeitschrift tätig. Dass sich eine Freundschaft mit dem jüngeren Texter entwickelt hätte, lässt sich sicher nicht behaupten. „Er war ganz schwierig“, so Priester in der Rückschau.[16] Immerhin verband das gemeinsame Interesse an moderner Kunst, einer modernen Sprache in Grafik und Design. „Freiburg lag ja nahe an Basel“, erinnert sich Erich Priester. „Und man hat ab und zu kleine Einkaufstouren gemacht, Schokolade oder Kaffee gekauft. Und bei der Gelegenheit hat man sich umgesehen. Das ganze Erscheinungsbild war ein anderes als bei uns mit den Kriegsfolgen. Buchhandlungen wurden durchstöbert, das Basler Kunstmuseum besucht, die berühmten Schweizer Plakate bewundert – alles war anregend und neu für uns.“[17] Auch ein gemeinsamer Besuch bei dem renommierten Schweizer Gebrauchsgrafiker und Typografen Emil Ruder fällt in diese Zeit. Es war wohl eine Phase der Orientierung und Internationalisierung, eine Art Schulung des Auges im Sinne einer grafisch-typografischen Moderne, deren Einfluss auf das Schaffen beider Gestalter schnell sichtbar werden sollte. Bei Willy Fleckhaus zunächst im Rahmen seiner optischen Erneuerung der Gewerkschafts-Jugendzeitschrift Aufwärts und, deutlicher noch, seiner visuellen Konzeption des twen. Bei dem sieben Jahre älteren Erich Prieser im Zusammenhang mit den kontrasten, die fraglos zu seinen wichtigsten gebrauchsgrafischen Leistungen zu rechnen sind.
Genaugenommen waren die kontraste weder Jugend-, noch Foto- und schon gar nicht Lifestylezeitschrift. Auch nicht Illustrierte im Sinne auflagenstarker, populärer Blätter wie Bunte, Stern, Quick oder Kistall. Noch am ehesten ließen sich die kontraste als Kulturzeitschrift definieren, adressiert an ein jugendliches Publikum, elitär im Anspruch, schwerlich gewinnorientiert, umso mehr interessiert an etwas, das man kritische Meinungsbildung nennen könnte. Nicht Aktualität war gefragt, sondern ein Nachdenken über durchaus aktuelle gesellschaftliche Fragen. Entsprechend der Eindruck einer Leserin, die Ende 1963 schrieb: kontraste sei endlich einmal eine Zeitschrift, „die es versteht, nicht nur durch hervorragende Aufmachung, sondern mehr durch kritische Beiträge die Herzen und die ‚Geister‘ der Leser zu gewinnen.“[18]twen spitzte zu, die kontraste formulierten aus. twen forderte schon auf dem Titel „Fort mit der Kirchensteuer“, konstatierte „Der Kölner Karneval ist doof“, sprach über „Liebe im Auto“ oder setzte forsch und in Großbuchstaben das Wort „Abtreibung“ auf den Titel. Die kontraste antworteten mit Auszügen aus einem Buch der französischen Journalistin Marcelle Auclair. Mit ihr erkläre man, so ein redaktioneller Vorspann, „daß die Abtreibung keimenden Lebens verbrecherisch ist. Aber damit ist nicht denen geholfen, die unser Erbarmen und unsere Liebe fordern.“[19]
Ethische Grenzen der Berichterstattung
Wo twen schon auf den Titeln bildhaft mit erotischen Appellen lockte, gaben sich die kontraste-Cover eher nüchtern, bestenfalls typografisch verspielt und lange Zeit schwarz-weiß – ein kräftiges Rot als einzige Zusatzfarbe auch im Binnenteil musste genügen. Wo twen sich um die Mode, den Jazz, das Reisen und Speisen, Häuserkauf in der Toskana oder teure Autos kümmerte, gaben sich die kontraste abstinent. Konsum war kein Thema, eher Konsumkritik. Rasch avancierte twen zur attraktiven Werbeplattform: Anzeigen für Kosmetika, Zigaretten, Modelabels, alkoholische Getränke oder Unterhaltungselektronik konkurrierten zunehmend mit den von Willy Fleckhaus überlegt gebauten Fotostrecken. Erich Priester hingegen bewegte sich in einem weitgehend anzeigenfreien Umfeld. Erst mit Heft 8/1962 fand auf den letzten Seiten vergleichsweise sparsam Werbung statt, was umgehend zu Protesten führte. „Ich beziehe kontraste seit der ersten Nummer und war erfreut, in dieser wertvollen Zeitschrift keine seitenlangen Geschäftsanzeigen vorzufinden“, so ein bereits im Folgeheft abgedruckter Leserbrief, „aber um diesen Frieden ist es wohl nun geschehen, und Philips und Ganter Bier und Dual-Plattenspieler, AEG-Kühlschränke und Herrenmoden werden froh Einzug halten und äußerlich schon wird sich kontraste von der übrigen Zeitschriftenliteratur nicht mehr unterscheiden.“[20]
Dass die Themenhefte der ersten Jahre im Wesentlichen die Interessen des Herausgebers spiegeln, die Schwerpunkte seiner Forschung und Publizistik reflektieren, dürfte schwerlich überraschen. Hermann Boventer und seine Co-Autorinnen und Autoren, unter ihnen der spätere Stern-Journalist Rainer Fabian, der Kabarettist Dieter Hildebrandt, der Schriftsteller Rudolf Krämer-Badoni, der SPD-Politiker Carlo Schmid – dachten nach und schrieben über Freiheit und Totalitarismus, die Rolle der Presse im demokratischen System, die ethisch-moralischen Grenzen der Berichterstattung, über Jugendkultur, Konsumterror, Zivilcourage, Kolonialismus, Rassismus, über Mode auch mit einem allerdings kritischen Unterton: „Wir wollen nicht so tun, als ob die Mode eine Hauptrolle hätte ...“, heißt es bezeichnenderweise in einem frühen Modebeitrag.[21]Fragt sich, welche Rolle Fotografie und Illustration in diesem Kontext spielten. Wieviel Raum blieb für Bilder, für grafisch-typografische Einfälle, wieviel Phantasie war gestattet in einem intellektuell höchst anspruchsvollen Umfeld?
Dass Bilder in den kontrasten eine tragende Rolle innehaben würden, unterstrich bereits der Untertitel. Ein Periodikum, das sich „Illustrierte“ nennt, wird schwerlich auf große Optik verzichten können, und große Optik boten die kontraste gleich in doppelter Hinsicht. Zum einen, indem man die Bilder wirklich groß, häufig angeschnitten, nicht selten über den Bund laufend und doppelseitig brachte. Zum anderen, indem man – abgesehen von dem gelegentlichen Rückgriff auf historisches Material – auf moderne Live-Fotografie setzte bzw. eine humanistisch unterfütterte Kamerakunst favorisierte, wie sie allen voran Magnum lieferte. Tatsächlich finden sich im Heft regelmäßig die Arbeiten profilierter Magnum-Fotografen wie Elliott Erwitt, Leonard Freed, Ernst Haas, Erich Lessing oder Henri Cartier-Bresson, wobei letzterer pikanterweise kein einziges Mal im konkurrierenden twen vertreten war: Fleckhaus’ Art, Fotografien zu beschneiden, zu kontern oder aufzurastern war und blieb für Cartier-Bresson tabu. kontraste-Leserinnen und Leser stießen im Heft auf Namen wie Hermann Claasen, Herbert List, Leonard von Matt, Fernand Rausser, Gotthard Schuh oder Jakob Tuggener – bis hin zu August Sander. Aber auch auf junge Talente wie Horst H. Baumann, Michael Friedel, Thomas Höpker oder Roger Fritz, ambitionierte Amateure, auf die Erich Priester im Rahmen der seit 1952 stattfindenden Kölner photokina aufmerksam geworden war. „Alle diese Leute habe ich da aufgetan“, so Priester. „Und die haben dann gern für uns gearbeitet. Die waren froh, wenn sie irgendwo eine Möglichkeit zur Veröffentlichung hatten.“[22]
Selbst unter Geistlichen unbekannt
Fotografie als Fotografie, das Medium als Gegenstand einer bildkritischen Reflexion war kein Thema in den kontrasten. Ausnahme blieb ein umfangreicher Beitrag über die „Neue Weltsprache Fotografie“ mit beispielhaften Arbeiten von Guido Mangold, Stefan Moses, Kryn Taconis, Robert Lebeck und Hilmar Pabel in Heft 9/1963.[23] Auch Guido Mangolds einfühlsame Reportage über Caritas im Krankenhaus blieb in ihrer konsequent geschlossenen Art eine Besonderheit. Die Fotografie wie auch die beigesteuerten Zeichnungen und Grafiken dienten in der Regel der Illustration, flankierten das Geschriebene und Gesagte, allerdings nicht in Gestalt zögerlich eingeklinkter Bildbeispiele, vielmehr prominent auf die Seite gestellt und stets mit einem deutlichen Autorenvermerk versehen. So wurden die Bildleistungen als „Werke“ erkenntlich, als Beiträge von sei es journalistischem, dokumentarischem oder ästhetischem Rang, was die Rezipienten, die Leserinnen und Leser zwischen mehrheitlich 20 und 30 Jahren[24] durchaus zu schätzen wussten, wie eine Umfrage bestätigte: „Ich war noch nie von einer Zeitschrift so begeistert“, schrieb eine Leserin aus Baden-Baden. Und ein nicht genannter Leser: „Ich halte den großen Raum, den Sie für Fotos und Graphiken freihalten, für ein besonderes Plus der Zeitschrift. Fotos und Graphiken sind oftmals von hervorragender Qualität. Weiter so!“[25]
Eher ausnahmsweise dürften Fotografinnen und Fotografen im Auftrag der kontraste tätig geworden sein. Stattdessen griff Erich Priester auf Verfügbares zurück, etwa auf die Deutschen-Porträts von Stefan Moses.[26] Oder eine Russland-Reportage des Stern-Fotografen Robert Lebeck. Er hatte „Das verbotene Land“[27] erstmals 1962 besucht. Noch im selben Jahr brachten die kontraste nicht weniger als elf groß auf die Seite oder Doppelseite gestellte Aufnahmen im Rahmen eines „Lenins nützliche Idioten“ überschriebenen Themenhefts – fast schon ein Portfolio. Als Frage bleibt, ob sich Erich Priester von twen hat inspirieren lassen. Mit Sicherheit hat er das Heft wahrgenommen, was der Beitrag „Riverboat Shuffle“ mit Fotografien von Wolfgang Haut zu bestätigen scheint.[28] Fraglos sind die vier Seiten inspiriert von „Jazz auf dem Fluss“[29], dem überhaupt ersten twen-Beitrag des Amerikaners Will McBride, der mehrfach auch in den kontrasten publizierte.[30]Darüber hinaus gibt es Parallelen im Umgang mit Typo und Weißraum, mit der unbedruckten Fläche, was auch den kontrasten Modernität und Eleganz bescherte, allerdings bei den Rezipienten nicht immer auf Begeisterung stieß.
Weitere Parallelen lassen sich mit Blick auf die verwendeten Schriften ausmachen, etwa die schmalfette Grotesk für gern variantenreich abgesetzte Headlines. Oder die als „Marke“ gedachte, sich über die gesamte Heftbreite ziehende Titelschrift, bei den kontrasten ein kursiver Schnitt der Garamond. Obwohl Erich Priester, im Gegensatz zu Willy Fleckhaus, keinen Raster als Ordnungsprinzip verwendet haben will, allenfalls einen „Grobraster“[31], wie er betont, wirken auch seine Seiten übersichtlich, klar gegliedert, aufgeräumt. Zugleich erweist sich jede neue Doppelseite als wohlkalkulierte Überraschung, als immer wieder neu gedachtes Miteinander von Fotografie und Typografie, Illustration und Schrift, bedrucktem und unbedrucktem Raum. Schrift übergroß bzw. bildhaft einzusetzen, war auch für Erich Priester eine Möglichkeit, plakative Wirkung zu erzeugen, wobei er sich nicht scheute, hin und wieder auch gebrochene Schriften einzusetzen. In der Summe ein ebenso modern wie ideenreich, sachlich wie verspielt, großzügig wie überlegt gestaltetes Magazin, dem nicht wenige schon damals eine größere Verbreitung und deutlichere Rezeption gewünscht hätten: „Überhaupt nicht gefällt mir die viel zu geringe Verbreitung Ihrer Zeitschrift“, so die Klage eines Lesers[32], während ein anderer zu der Erkenntnis kommt, dass die Hefte „fast unbekannt“ seien, „auch in den Kreisen der Geistlichen.“[33]
Tatsächlich sind die kontraste bis heute so etwas wie ein „Geheimtipp“ geblieben. Als bestenfalls lückenhaft erweisen sich die Bestände in einschlägigen Bibliotheken und Archiven. Antiquarisch ist das Heft kaum zu finden. In Arbeiten zur neueren Pressegeschichte werden die kontraste noch nicht einmal erwähnt. Allein in dem jüngst von Jens Müller (FH Dortmund) in seiner Reihe A5 herausgegebenen Band Collecting Graphic Design kommt der in Paris lebende Art Director und passionierte Sammler Serge Ricco auf die Zeitschriftzu sprechen, nennt die kontraste zu Recht ein „weitgehend vergessenes Magazin“ und vergleicht das Heft umgehend mit twen: „Ich fand sofort, dass es den gleichen Charakter hat wie twen von Willy Fleckhaus.“[34]Erst 1995 übrigens wurden die kontraste eingestellt. Damit hatte die Zeitschrift unter wechselnden Herausgebern und Gestaltern den ungleich populäreren Rivalen twen um nicht weniger als – Ironie der Geschichte – ein Vierteljahrhundert überlebt.
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[1] Ausführlich hierzu vgl. Axel Schildt: Medien-Intellektuelle in der Bundesrepublik, Göttingen 2020.
[2]kontraste, Nr. 4, 1961, vierte Umschlagseite.
[3]kontraste, Nr. 7, 1962, S. 62.
[4] „Leserumfrage“, in: kontraste, Nr. 13, 1964, S. 63.
[5] Hermann Boventer: Ethik des Journalismus, Konstanz 1984.
[6] Hermann Boventer (Hg.): Medien und Moral, Konstanz 1988.
[7]kontraste, Nr. 20, 1965, S. 64
[8] Vgl. Werben & Verkaufen, Nr. 48, 27. November 1970.
[9] Jack Schofield: Will McBride, in: Contemporary Photographers, London 1982, S. 498.
[10]kontraste, Nr. 2, 1960, zweite Umschlagseite.
[11]kontraste, Nr. 8, 1962, S. 64.
[12] Vgl. „Damals schon in dieser Richtung orientiert. Ein Gespräch mit Erich Priester“, in: Hans-Michael Koetzle, Carsten M. Wolff: Fleckhaus. Deutschlands erster Art Director, München 1997, S. 132.
[13] Ebenda., S.133.
[14] Vgl. Der Fährmann, 3. Jg., Heft 11, 1949, S. 31.
[15] Gespräch des Autors mit Guido Mangold am 9. Dezember 1994 in Ottobrunn bei München.
[16] Wie Anm. 12.
[17] Ebenda.
[18]kontraste, Nr. 12, 1963, S. 63.
[19]kontraste, Nr. 14, 1964, S. 57.
[20]kontraste, Nr. 9, 1963, S. 60.
[21]kontraste, Nr. 2, 1960, S. 27.
[22] Telefongespräch des Autors mit Erich Priester am 27. Dezember 1994.
[23]kontraste, Nr. 9, 1963, S. 22–31.
[24] Wie Anm. 4.
[25] Ebenda.
[26]kontraste, Nr. 16, 1964.
[27] Vgl. Robert Lebeck: Neugierig auf Welt. Ein Selbstporträt mit Harald Willenbrock, Göttingen 2004, S. 158–174.
[28]kontraste, Nr. 5, 1962, S. 60–63.
[29]twen, Nr. 6, 1960, S. 38–44.
[30] Prominent in kontraste, Nr. 2, 1960, S. 26 und 48–49.
[31] Wie Anm. 22.
[32] Wie Anm. 4.
[33]kontraste, Nr. 9, 1963, S. 60.
[34] Vgl. Jens Müller (Hg.): Collecting Graphic Design. Die Archivierung des Visuellen/The Archiving oft the Visual, Dortmund 2022, S. 115.
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