Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Nathalie Neumann

Der Teppich von Bayeux zurück im Bild

Restitution von Aufnahmen für das „Ahnenerbe“ aus Privatbesitz 1994 und 2019

 

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 173, 2024

 

Was für Foto Marburg unmöglich schien, gelang in Bayeux:[1] Das dortige Museum erhielt 1994 und 2019 die Fotos, die während der Fotokampagnen unter deutscher Besatzung (1940–1944) aufgenommen worden waren, als Schenkung. Diese erfolgte dank einer privaten Initiative und soll dem wissenschaftlichen Austausch dienen. Der berühmte Teppich von Bayeux ist heute Weltkulturerbe und wurde wegen seiner Darstellung der siegreichen Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer 1066 von den Ideologen des Nationalsozialismus symbolisch aufgeladen und sollte für ihre Zwecke vereinnahmt werden. Während die Fotokampagnen im übrigen Frankreich vor allem von Architekturhistorikern und Experten mittelalterlicher Kunst geleitet wurden, die neben der Dokumentation der Bauwerke ihre persönlichen wissenschaftlichen Interessen verfolgten, unterstand die Fotokampagne des Teppichs von Bayeux dem sogenannten „Ahnenerbe“. Dieses von Heinrich Himmler (1900–1945) gegründete und von Herbert Jankuhn (1900–1990) geleitete wissenschaftliche Institut sollte sich mit der Erforschung und Analyse von Stätten und Objekten befassen, die möglicherweise mit dem „arischen Erbe“ in Verbindung stünden und das das Dritte Reich fördern wollte.[2]

Am 23. Juni 1941 wurde die 70 Meter lange Stickerei des Bildteppichs in der Abtei von Mondaye, wenige Kilometer von Bayeux entfernt und außer Sichtweite, eingelagert. Für die Reproduktion des Bildteppichs wurde einerseits der junge Kunsthistoriker Hartwig Beseler (1920–2005) als Fotograf sowie Herbert Jeschke (1900–1964) als Spezialist für die Analyse und Reproduktion von Farben nach Bayeux geschickt, um sich dem Forscherteam des „Ahnenerbes“ bestehend aus SS-Angehörigen anzuschließen. Am 1. August 1941 kehrte die Stickerei nach Bayeux zurück, wo sie in einem Safe im Keller des Museums eingeschlossen wurde,[3] bevor sie nur wenige Tage später und bis 1944 im Château de Sourches in der Nähe von Le Mans eingelagert wurde. Ein Versuch Himmlers, sie 1944 ins Deutsche Reich zu transportieren, scheiterte schließlich an der Niederlage des Deutschen Reichs dank der Landung der Allierten vor 80 Jahren.

Beseler und Jeschke dokumentierten ihre Arbeit vor Ort mit Fotografien und Zeichnungen. Wie die gesamte „Ahnenerbe“-Kampagne gerieten auch diese Arbeiten in Vergessenheit und wurden nie veröffentlicht. Erst durch die dreißigjährige Recherchen der kanadischen Mediävistin Shirley Ann Brown (University of York, Toronto) zum Teppich von Bayeux,[4] sowie ihrer Vermittlung zwischen dem Museum Bayeux und den Nachkommen der Familien Beseler und Jeschke erfolgte ein interessanter Austausch von Information und Objekten. Bereits in den 1990er Jahren gelang es der damaligen Kuratorin des Museum Bayeux Sylvette Lemagnen, die wissenschaftlichen Aufzeichnungen Prof. Jankuhns für ihr Archiv zu erhalten. Alle Beteiligte verband das gemeinsame Interesse an der Geschichte des Bildteppichs von Bayeux, sowie die Wertschätzung der künstlerischen Darstellung über zwei Generationen. Dr. Jeschke korrespondierte sogar nach dem Krieg noch mit René Falue, dem damaligen Hüter des Bildteppichs vor Ort. 1994 entschied sich die Familie Beseler, die Fotografien der Kampagne dem Museum sowie in Kopie Foto Marburg zu überlassen, was das Museum als außergewöhnliche Geste begrüßte. 2019 folgte die Familie Jeschke mit einer großzügigen Schenkung aus dem privaten Nachlass. Dazu gehörten vier Skizzenbücher und Aufzeichnungen, die fünfzehn Durchzeichnungen mit Aquarellreproduktionen von Motiven aus dem Wandteppich, die Skizzen von Bayeux und seinen Bewohnern sowie fünfzig Schwarzweißfotos aus dem Jahr 1941. Damit bereicherte diese besondere Dokumentation die Sammlungen des Museums und trägt dazu bei, das historische und universitäre Wissen zu der über tausend Jahre alten Stickereien zu erweitern. Für die Recherchen am Objekt dienen die beiden Schenkungen als Informationsquelle für zukünftige Projekte, aber auch als Erkenntnisquelle für Restauratoren, die die Entwicklung des Erhaltungszustands des Wandteppichs seit den 1940er Jahren verfolgen.

Zweifelsohne stellt sich bei Fotografien auch die Frage nach den Bildrechten. Wie ernst es Richard Hamann-Mac Lean (1908–2000), dem Sohn von Richard Hamann (1879–1961), der die Fotokampagne im besetzten Frankreich geleitet hatte, mit den Bildrechten war, zeigt Prof. Locher in seinem Beitrag in diesem Heft. Was der Forschung hierzu bisher verschleiert wurde, ist, daß Hamann-Mac Lean Bildrechte durchaus nach seinen Interessen auslegte. So kaufte er zwischen 1948 und 1951 der Witwe des Kunsthistorikers Hermann Bunjes (1911–1945) über 500 Fotografien für Foto Marburg ab, deren Provenienz er aus politischen Gründen absichtlich verbarg.[5] Das Erbe Foto Marburgs hat die Universität Straßburg, Zentrum historischer, deutsch-französischer Konflikte, im Zeitalter der Digitalisierung auf ihre Weise gelöst. Seit kurzem steht der gesamte Bestand der Lehrbildsammlung des Kunsthistorischen Instituts, das zwischen 1940 und 1944 zum Eliteinstitut ausgestatte wurde, online zur freien Verfügung.[6]

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[1] Prof. Dr. Hubert Locher belegt in seinem Beitrag in diesem Heft die juristischen und kommerziellen Überlegungen Foto Marburgs, die Aufnahmen aus den umfangreichen Fotokampagnen (1940–1944) in Frankreich zwischen 1945–1960 nicht unentgeltlich zugänglich zu machen.

[2] Michael H. Kater: Das „Ahnenerbe“ der SS 1935–1945: Ein Beitrag zur Kulturpolitik des Dritten Reiches, München: Oldenbourg Verlag, 2009.

[3] Aus den Tagebuchaufzeichnungen des Prof. Herbert Jankuhn, sowie des Wärters René Falue lässt sich der Ablauf der Kampagne detailliert rekonstruieren. Beide werden im Museumsarchiv Bayeux aufbewahrt.

[4] Shirley Ann Brown: The Bayeux Tapestry. Bayeux, Médiathèque municipale : Ms. 1. A Sourcebook. (Publications of the Journals of Medieval Latin, 9), Turnhout, Brepols, 2013.

[5] Korrespondenz aus Familienbesitz Bunjes, in Kopie dank der Autorin im Archiv der Johannes Gutenberg Universität Mainz einsehbar.

[6]https://docnum.unistra.fr/digital/collection/coll24/id/594/ (eingesehen am 17.5.2024).

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