
Gisela Steinlechner
Außer Rand und Band
Hannah Höchs Kunst der Montage
Stella Rollig, Martin Waldmeier, Nina Zimmer (Hg.): Hannah Höch. Montierte Welten. Mit Beiträgen von Martin Waldmeier, Kristin Makholm und Hannah Höch, Ausstellungskatalog Zentrum Paul Klee, Bern, Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Zürich: Scheidegger & Spiess, 2023, 200 Seiten, 23 x 17 cm, 130 farbige und 30 s/w-Abbildungen, broschiert, 38 Euro.
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 174, 2024
Betrachtet man die Rezeption der Künstlerin Hannah Höch (1889–1978) über die Jahre, so zeigt sich ein Bild voller Sprünge, Perspektivwechsel und nicht zuletzt auch Verzögerungen – es brauchte eine ganze Weile, bis das Werk dieser genuinen Avantgardistin in seiner ganzen innovativen Vielfalt und Eigenständigkeit wahrgenommen wurde. Geprägt von Unterbrechungen war auch Höchs Lebensgeschichte: Die früh schon Kunstbegeisterte musste zunächst ihre jüngeren Geschwister hüten, bevor sie 1912 als Dreiundzwanzigjährige in Berlin eine Kunstgewerbeausbildung beginnen konnte. Dort traf sie 1915 auf den Maler und späteren „Dadasophen“ Raoul Hausmann, mit dem sie eine mehrjährige ebenso anregende wie konfliktreiche Beziehung verband. Als einzige Frau im Kreis der Berliner Dadaisten firmierte sie zunächst vor allem als dessen notorisch unterschätzte Freundin, die Kollegen George Grosz und John Heartfield wollten sogar Höchs Teilnahme an der vielbeachteten Ersten Internationalen Dada-Messe 1920 in Berlin verhindern. Dort trat die junge Künstlerin dann gleich mit der legendären Fotomontage Schnitt mit dem Küchenmesser Dada durch die letzte Weimarer Bierbauchkulturepoche Deutschlands in Erscheinung, einem später vielzitierten Schlüsselwerk der deutschen Dada-Bewegung. In den 1920er Jahren wandte sich Hannah Höch der Ästhetik des Bauhauses und der filmischen Avantgarde zu, sie knüpfte enge künstlerische und freundschaftliche Beziehungen u.a. zu Kurt Schwitters, Theo und Nelly van Doesburg oder dem ungarischen Konstruktivisten László Moholy-Nagy. Eine 1932 am Bauhaus geplante Ausstellung Höchs wurde von den Nationalsozialisten abgesagt, die Jahre zwischen 1939 und 1945 verbrachte die Künstlerin vereinsamt und von Depressionen heimgesucht in einem Haus am Stadtrand Berlins. Nach Kriegsende gelang es ihr, ihre Arbeit und Ausstellungstätigkeit wieder aufzunehmen, es entstand ein neuer umfangreicher Werkblock von nunmehr stärker surrealistisch ausgerichteten Fotomontagen.
Der im Verlag Scheidegger & Spiess erschienene Katalog zur Ausstellung Hannah Höch. Montierte Welten (Zentrum Paul Klee Bern, November 2023 bis Februar 2024 und Belvedere Wien, Juni bis September 1924) gewährt einen spannenden Einblick in diese facettenreiche künstlerische Biografie. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der zeit- und mediengeschichtlichen Kontextualisierung der von Höch maßgeblich mitinitiierten neuen Kunstform der Fotomontage. Kristin Makholm befasst sich in ihrem Beitrag mit dem Einfluss, den die Kinobegeisterung und später die intensive Auseinandersetzung mit experimenteller Filmkunst auf Höchs künstlerische Verfahren und deren Entwicklung hatte. Ab Mitte der 1920er Jahre konstatiert Makholm eine „strukturelle und ausdrucksstarke Allianz“ der Fotomontagen mit den Kompositionsprinzipien und Techniken der avantgardistischen Filmkunst und -theorie, wie sie u.a. von Sergej Eisenstein, Dsiga Wertow, Hans Richter, Joris Ivens oder Moholy-Nagy vertreten wurde. Darin zeigt sich nicht zuletzt auch die Offenheit der Künstlerin gegenüber allen Phänomenen und Aspekten des Visuellen, seien es massenmediale Erfahrungen, technische Erweiterungen oder radikale experimentelle Befragungen.
Auf die Frage, wer den Anspruch auf die Erfindung der Fotomontage im deutschen Sprachraum für sich beanspruchen dürfe, ließ sich Höch im Unterschied zu ihren männlichen Mitstreitern Hausmann, Grosz und Heartfield erst gar nicht ein. Stattdessen verweist sie in einem hier nachzulesenden unveröffentlichten Manuskript aus dem Jahr 1948 auf Vorläufer der Fotocollage, wie die schon im 19. Jahrhundert beliebten Ulk-Postkartenbilder, und auf das gleichzeitige Auftauchen der neuen Kunstform gegen Ende des Ersten Weltkriegs in ganz Europa. Nachdem die immer weiter ausgereiftere Fotografie alle Bevölkerungsschichten durchdrungen und der Film „die dem Foto innewohnenden Elemente befreit“ habe, „lag es in der Luft, dass man auch die statische Form, das Bild, mit ihnen bereicherte“. Höch sah in der neuen Technik eine unerschöpfliche Quelle der Bildfindung, diese zu erschließen brauche es allerdings „Hemmungslosigkeit – im Sinne von Unbelastetsein“ – gepaart mit künstlerischer Disziplin.
Über beides verfügte Hannah Höch in erstaunlichem Ausmaß. Die im Band zahlreich abgebildeten Collagen aus vorwiegend farbigen Fotoreproduktionen, die die Künstlerin noch im Alter schuf, beeindrucken durch ihren kompositorischen Esprit, der sich immer wieder neue traumartige, szenische, organische und zunehmend abstrakte Räume erschließt. Auch wenn diese Arbeiten, wie die meisten ihrer Fotomontagen, im kleinen Format bleiben, wirken manche fast wie Tafelbilder und erinnern gelegentlich an Werke von Max Ernst, den Höch als ihren „nächsten Verwandten“ bezeichnete. In einem Brief an Walter Mehring schrieb die Künstlerin 1959: „Bis heute versuche ich konsequent das Foto auszubeuten. Ich benutze es wie die Farbe, oder wie der Dichter das Wort.“ Damit erhält die Fotomontage neben ihrer „klassischen“ subversiven, parodistischen und gesellschaftskritischen Ausrichtung eine weitere Dimension: Höch reagiert auf die Allgegenwart und suggestive Macht reproduzierter Fotos, indem sie deren bedeutungsstiftende Funktion desavouiert und sie stattdessen als Materiallager für readymade-Farben, -Texturen und -Formen verwendet. Oft wird das Ausgangsmaterial von ihr so zugeschnitten, dass das Abgebildete nicht mehr identifizierbar ist, die daraus entstehenden fantastischen Welten tragen jedoch die „gebrauchten“ Farben, die Punktraster und Formensprachen der massenmedial reproduzierten Gegenwart in sich.
In seinem lesenswerten und umfassend informierten Beitrag zeichnet Martin Waldmeier den künstlerischen Werdegang Hannah Höchs in ein dichtes, sich innerhalb weniger Jahrzehnte rasant veränderndes Koordinatensystem der Moderne ein. Der Erste Weltkrieg als Brandbeschleuniger nicht nur gesellschaftlicher und politischer Umbrüche, sondern auch technischer und ästhetischer Entwicklungen erweist sich als unabdingbar für das Verständnis jener „Revolution des Sehens“, die die künstlerischen Avantgarden weiter vorantrieben. Mit Blick auf die vom Krieg angefeuerte Prothesen- und Wiederherstellungsmedizin lässt sich hier der Beginn der „Montage am menschlichen Körper“ (vgl. Wolfgang Eckart) verorten. In ihren frühen Arbeiten griff Hannah Höch die technoide Durchdringung der menschlichen Körper und Gesichter auf, ebenso wie die Ästhetisierung und Androgynisierung weiblicher Körper in den 1920er Jahren, indem sie groteske, kinetisch aufgeladene und – wie in der bekannten Serie Aus einem ethnographischen Museum (1924–1939) – kulturell hybride Mischwesen schuf.
Um 1933 montierte Höch an die 400 Zeitschriftenfotos zu einem bemerkenswerten Album, man kann es wie Waldmeier als „Vorläufer einer medienkritischen Konzeptkunst“ betrachten, vor allem aber war es wohl ein Werkstattarchiv, in dem es um Fragen des Sehens und um die Wirkmacht der Bilder ging, und in dem die Künstlerin versammelte, was ihren Blick im Besonderen angezogen hat: bewegte Körper, Kinder, Tiere und Pflanzen, Luftbilder, Reisefotografien, architektonische und technologische Motive, Werbung, Stillleben. Quasi als Rahmung ihres Werks sind am Beginn und Ende des Katalogs mehrere Doppelseiten aus Höchs Album eingefügt. Auch in seiner grafischen Aufbereitung von Text und Abbildungen orientiert sich der Band an dessen Montageprinzip. Man hat ein höchst anregendes und informatives Buch vor sich, schade nur, dass es den Abbildungen etwas an kontrastiver Schärfe fehlt; ein Grund mehr sich Höchs Collagen im Original anzusehen.
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