Astrid Köhler
Rückwendung im Aufbruch
Émeric Fehers Reisefotografien zwischen Moderne und Tradition
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 175, 2025
Als das Friedensdiktat von Trianon (1920) die Mitschuld Österreich-Ungarns am Ersten Weltkrieg besiegelte, hatte dies für zahlreiche ungarische Staatsbürger verheerende Folgen: Denn durch Gebietsabtretungen an Nachbarstaaten galt fortan als Jugoslawe, Rumäne oder Slowake, wer in den betroffenen Zonen ansässig war.[1] Neben dem ungarischen Fotografen François Kollar (Ferenc Kollár, 1904–1979), der somit slowakisch wurde[2], lebte nun auch Émeric Feher (Imre Fehér, 1904–1966) nicht mehr auf ungarischem Terrain. Sein Geburtsort Óbecse/Bečej ging an das Königreich Jugoslawien über. Diese Entwurzelung war prägend für Feher und übersetzte sich in eine permanente Suche nach Identität, Abgrenzung, Aufbruch und Rückwendung.
Als gelehrter Kaufmann und Elektriker migrierte er 1926 nach Paris, wo er zunächst in technischen Berufen bei Peugeot und Citroën sowie ab 1930 im Fotostudio der Druckerei Deberny et Peignot tätig war.[3] Über letztere Aktivität kam er in Kontakt mit dem französischen Fotografen Maurice Tabard (1897–1984) und über diesen zur Lichtbildnerei. Tabard attestierte ihm „un coup d’œil rare pour la lumière“[4] – also ein seltenes Auge oder Gespür für Licht. 1933 kündigte Feher bei Deberny et Peignot und arbeitete fortan im Studio René Zuber als Fotograf. Er schloss sich im Folgejahr der Agentur Alliance Photo[5] an und eröffnete 1936 sein erstes eigenes Studio in der Rue de Provence im Pariser neunten Arrondissement. Obschon er 1940 die französische Staatsbürgerschaft erlangte[6], war er als Jude im besetzten Teil Frankreichs dazu gezwungen, sein Studio ab Herbst 1941 an einen Kollegen zu verkaufen. Ein kaschierter Handel auf Zeit[7], um dem Arisierungsgebot Folge zu leisten, nach welchem u.a. jüdisch geführte Betriebe an nicht-jüdische Kollegen überlassen werden mussten. In der Zwischenzeit arbeitete Feher im noch freien Nizza als angestellter Fotograf weiter, bis er nach der Befreiung Frankreichs ab August 1944 seine Aktivität in Paris wieder aufnehmen konnte. Seine kommerzielle Tätigkeit florierte und er zog mit seinem Fotostudio mehrfach innerhalb der Ile-de-France um. Er lebte primär von Aufträgen für die französische nationale Bahngesellschaft SNCF, für die Werft Chantiers de l’Atlantique in Saint-Nazaire, für den Papierhersteller CENPA und von Aufnahmen, die er für das Commissariat général au Tourisme erstellte – beispielsweise für Hotel- und Reiseführer.
Seine künstlerisch signifikanteren Arbeiten stammen jedoch primär aus den 1930er Jahren. Sie weisen kreative Schnittmengen mit der französischen ‚Nouvelle Photographie‘ der 1920er und 1930er Jahre auf, die bislang wenig erforscht sind,[8] obwohl Feher dieser Richtung ästhetisch und geografisch wie auch über Kontakte und Ausstellungen[9] nahestand. Diese Forschungslücke liegt zum einen an der relativ geringen Anzahl von Publikationen zu seinem Werk.[10] Zum anderen wird eine stilistische Zuordnung Fehers zur ‚Nouvelle Photographie‘ teils vorschnell abgewiesen[11], basierend auf einer Selektion von eher dokumentarischen Arbeiten und/oder auf einer Abfertigung der ‚Nouvelle Photographie‘ als rein technikinteressiert, menschenfremd und „kalt“[12]. Sofern eine fotohistorische Nennung erfolgt[13], wird Feher meist als humanistischer Fotograf und Dokumentarist klassifiziert, der auf einer „Suche nach Augenblicken der Eleganz“ und des poetischen Realismus sei.[14] Dabei werden vor allem Aktaufnahmen, Kinderporträts und Kirmesfotografien zitiert, darunter Aufträge für Zeitschriften wie die Revue Arts et métiers graphiques, für die Publikation Paris méconnu (1937) oder auch für die Agentur Alliance Photo. Andere Veröffentlichungen widmen sich wiederum Fehers (Pseudo-) Solarisationen und Montagen[15], ohne einen Bezug zu dessen gegenständlichere Aufnahmen mit experimentellem Blick herzustellen oder die Frage nach dem Status von freien Arbeiten versus Auftragsfotografien zu diskutieren.
Doch auch innerhalb der dokumentierenden Arbeiten schuf Feher stets Studien, die von seinem dezidierten Interesse an den apparativen Möglichkeiten seiner Rolleiflex-Kamera[16] und einer Faszination für Licht, Bewegung und geometrische Formen zeugen. Es handelt sich um ein relativ loses Konvolut, das neben dem ‚offizialisierten‘ Narrativ seines Schaffens entstanden ist und das sich bruchstückhaft zwischen seine klassischeren Auftragsarbeiten schiebt. Wie ‚Stolperfallen‘ bilden sie einen Kontinuitätsbruch innerhalb der Kontaktbögen und Alben in seinem Nachlass.[17]
Aus der Reihe tanzen. Ein Kommunionstag in Fougères
Im Nachlass Fehers findet sich ein Kontaktbogen, angefertigt um 1934 von seiner Frau Elisabeth, die zwölf Aufnahmen ihres Mannes sorgfältig auf Karton klebte und durchnummerierte. Die Fotos entstanden 1934 auf einer Reise in die Bretagne – genauer: nach Fougères nahe Rennes.[18] Feher interessiert sich zunächst mit einem nahezu ethnografischen Blick für einen ländlichen Gegenstand, der oberflächlich betrachtet in Kontrast steht mit der in Paris erlebten, oft überspitzt formulierten Moderne. Er dokumentiert einen traditionellen Kommunionsumzug, beginnend vor einer Kirche, wo Prozessionsteilnehmer sich versammeln, bis eine Gruppe weiß gekleideter, verschleierter Mädchen streng gereiht das Bildfeld durchquert. Der Fotograf folgt dieser Gruppe und fixiert sie in einer dynamischen Bilddiagonalen, die sich vor dem dunklen Grund aus Häuserzeilen absetzt. Das Licht ist in drei dieser Aufnahmen minutiös durch den gewählten Blickwinkel orchestriert und erzeugt geometrische Schatten und Transparenzeffekte der Gewänder. Die Gesichter der Mädchen sind an diesem Punkt der Serie nicht erkennbar, nur die hell-transluzenten Silhouetten der Gewänder bleiben. Der Umzug verläuft sich in den weiteren Aufnahmen und Feher widmet sich auf den letzten Fotografien bretonischen Spaziergängern in Rücken-, Profil- und Frontalansicht, um sie in engen Gassen und auf dem Wochenmarkt zu fotografieren. In diesen finalen Bildern des Kontaktbogens gewinnt der dokumentarisch-humanistische Blick erneut die Oberhand; das Spiel mit Licht, Schatten und Geometrie tritt hinter der Mimik und Gestik der Personen zurück.
Mit deutlichem zeitlichen Abstand wurde 1958 eine Aufnahme aus diesem Kontaktbogen für die Publikation Bretagne à livre ouvert gewählt, begleitet von einem Zitat aus La Légende de la mort en Basse-Bretagne des Schriftstellers Anatole Le Braz (1893), welches hier sprachlich einen Schwebezustand zwischen Leben und Tod bzw. zu Ruinen verfallenen Kapellen evoziert.[19] Es ist kein klassischer Reiseführer, sondern eine poetische Gegenüberstellung von einerseits ‚atmosphärischen‘ Texten, die das Rurale, die Bedeutung der Religion und die mutmaßliche Naturverbundenheit der Bretagne betonen, und andererseits ausgewählten Aufnahmen von René Jacques, Émeric Feher, Ergy Landau und anderen Fotografen der Agentur Rapho[20] – meist im klassisch dokumentarischen Stil ohne experimentelle Ambition.
Fehers Aufnahme aus Fougères tanzt insofern ‚aus der Reihe‘, als sie von einer stilistischen und inhaltlichen Amalgamierung nostalgischer Themen mit Charakteristika der ‚Nouvelle Photographie‘ zeugt. Die weiß gekleideten Mädchen werden im starken Seitenlicht und in der Serialität ihrer Reihung vor dunklem Grund zu einer Art abstrahiertem Typus – zur Bildformel, die sich durch die Rhythmik der Körper zum gleichberechtigten Kompositionselement neben dem Spiel von Licht und Schatten erhebt. Über Fehers Reiseprojekt nach Fougères verbindet sich hier eine eher mit dem großstädtischen Blick assoziierte Ästhetik mit einem traditionellen Gegenstand, der als exotisch inszeniert wird und nach (Stereo)Typen des Fremden sucht.
Rückwendung als Aufbruch: das Fest von Cornouaille
Eine weitere zwischen den Kategorien oszillierende Fotografie Fehers, die wiederum über zwanzig Jahre später entstanden ist (d.h. ein Jahr nach der Publikation Bretagne à livre ouvert), zeigt eine Tanzszene der traditionellen Fête de Cornouaille in der bretonischen Stadt Quimper (siehe Abb.). Das Ereignis ist ein seit 1923 etabliertes Fest, dessen Ziel die Ehrerweisung und Erhaltung bretonischer Traditionen ist. Die resultierenden Kontaktbögen Fehers aus dem Jahre 1959 umfassen zahlreiche Aufnahmen, in denen weder der Blickwinkel noch die Darstellung der Körper innovativ scheint. Sie dokumentieren das Fest in rascher Folge ohne visuelles Wagnis. Abbildung 3 setzt sich hiervon jedoch ab: Der Abzug ist dreigeteilt in erstens eine nahezu abstrakte Zone, die aufgrund einer leichten Froschperspektive das gesamte untere Bilddrittel einnimmt, sowie zweitens einen bandförmigen ‚Tanzbereich‘, in dem sich Bewegungen und Haltungen wiederholen und spiegeln, ohne die Gesichter der Tänzer/-innen erkennen zu lassen, und drittens einen nahezu leeren Hintergrund – den grauen, wenig strukturierten Himmel. Die Tänzer/-innen sind durch die Rahmung links und rechts beschnitten und in einer leichten Diagonale nebeneinander gereiht, getrennt nach Geschlecht. Das Gegenlicht erzeugt starke Kontraste und homogenisiert die bretonischen Kostüme. Eine Nähe zur ‚Nouvelle Photographie‘ ist auch hier unverkennbar, ohne dass die Aufnahme gänzlich in dieser Kategorie aufginge. Hier wie dort erfolgt ein Bruch mit konventionellen Sehkonventionen im Sinne einer Ästhetik des Bauhauses, die Formen und (A)Symmetrien betont.[21] Für die Pariser ‚Nouvelle Photographie‘ waren Wechselwirkungen mit u.a. dem Konstruktivismus und der Straight Photography[22] prägend. Sie lotete neue Bildachsen und Rahmungen aus bzw. suchte eine der Fotografie eigene Formsprache. Kollegen und Freunde Fehers wie François Kollar, Pierre Boucher, Germaine Krull oder Jacques André Boiffard, gelten als Vertreter dieser Richtung.[23] Mit diesen stellte Feher erwiesenermaßen aus, er arbeitete mit ihnen und diskutierte über ästhetische, technische und soziale Fragen. Gleichsam stimmt es, dass sich das Motiv eines bretonischen Tanzes nicht nahtlos in das Repertoire der Pariser ‚Nouvelle Photographie‘ fügt. Gleiches gilt für andere rückwärtsgewandte Themen, die Feher jenseits der Hauptstadt in verschiedenen Regionen wie der Normandie, Korsika, der Bretagne und im Elsass festhielt. Ob religiöse Prozessionen, obsolete Fischerboote mit ihren lichtdurchfluteten Fangnetzen oder regionale Kostüme und Haartrachten - motivisch ist Feher oft fern von Bildthemen, wie sie die ‚Nouvelle Photographie‘ propagierte, d.h. von verzerrten Blickwinkeln auf hohe Stahlkonstruktionen oder von Spielen mit Spiegeln und Sphären. Über die Faszination, die der technische Fortschritt auf die ‚neue‘ Fotografie ausübte, schrieb der Kritiker Florent Fels 1928: „Der Stahl verändert unsere Landschaften (…). Hochöfen ersetzen Hügel. Von diesen neuen Weltaspekten seien hier einige Elemente genannt, die in schönen Fotografien festgehalten wurden, welche wiederum repräsentativ für eine neue Romantik sind (…). Brücken durchdringen den Raum. Züge zerschmettern mit Getöse den Horizont. Sie heben ab, im fatalen Verlauf des Fortschritts auf Äther gleitend, und bringen die verwunderten Lebenden zu entfernten Bahnhöfen.“[24]
Fehers in der Provinz gefundene nostalgische Motive stehen in Kontrast mit dem üblichen Motivkanon der fotografischen Moderne und der ‚Nouvelle Photographie‘, denn diese profitierte von einer Rückkopplung ihres stilistischen Umbruchcharakters mit der Inszenierung ‚moderner‘ Industriegegenstände und Gusseisenarbeiten. In den Reisefotografien des Ungarn sind wiederum Form und Inhalt teils widerspruchsvoll verwoben. Sie bilden somit ein geeignetes Forschungsterrain, um die Ein- und Ausschlusskriterien der ‚Nouvelle Photographie‘ und der humanistischen Fotografie zu hinterfragen, denn auch letztere Kategorie funktioniert bei Feher nicht reibungslos.
Ungewohnte Blickwinkel, dezentrierte Bildachsen: Rückkehr vom Fischfang
Die Aufnahme Rückkehr vom Fischfang entstand 1934 am bretonischen Hafen Saint Guenolé in der Stadt Penmarc'h. Wir sehen eine Gruppe von sieben Männern in Rückenansicht, die mit Körben und Kisten beladen und in einfacher Arbeiterkleidung eine Treppe erklimmen. Zwei Holzmasten strukturieren den Hintergrund und lassen ein Schiff erahnen. Rechts erkennt man zudem ein niedriges Gebäude, beschnitten durch den Körper einer der Personen. Der von einem maritimen Dunstschleier überzogene Himmel nimmt zwei Drittel der Bildfläche ein. Durch den frontalen, hochstehenden Lichteinfall werfen die Männer einen steil verkürzten Schatten hinter sich, die Textur ihrer Kleidung und Tragkörbe wird durch starke Kontraste betont. Ausgehend von den bildinternen Indizien wäre eine Lokalisierung und Kontextualisierung der Szene nur schwer möglich. Laut Bildlegende hält das Foto jedoch eine Rückkehr vom Fischfang fest – eine schriftliche Angabe, die nachträglich und wahrscheinlich nicht durch Feher selbst gemacht wurde.[25] Einfache Arbeiter, hier: Fischer, werden beim Nachgehen ihrer Tätigkeit und somit in ihrem Broterwerbsalltag wiedergegeben, ein Thema, das aus der humanistischen Fotografie vertraut ist. Nach Marie de Thézy ist eines der Hauptmerkmale dieser Richtung, dass der Mensch und sein Einfluss auf die Natur zu zentralen Themen werden, wobei ein besonderes Augenmerk der Existenz in all ihren Facetten gelte.[26] Ein empathischer Blick auf den Menschen bei der Ausführung seiner Arbeit oder bei banalen Aktivitäten sei charakteristisch. De Thézy sieht Feher, aber auch François Kollar, als humanistische Fotografen. Mit Blick auf den Entstehungskontext von Abbildung 6 und die gegebene Definition ist dies schlüssig, denn der entsprechende Kontaktbogen zu ‚retour de la pêche‘ dokumentiert ins Feinste die Details des Berufes: Feher beobachtet zunächst die Fischerboote, sodann den Warentransport auf den Schultern der Fischer, den Hafen selbst sowie schließlich das Verlassen der Arbeitsstätte mit Auto, Fischersfrau, Kind und Kutsche im Hintergrund. Zugleich ist der beschriebene Abzug stark von ästhetischen Prämissen geprägt und zeigt die Fischer auf nahezu abstrahierende Weise mit erhöhten Kontrasten und in Rückenansicht, sodass deren Beruf und Individualität unklar bleiben. Feher fotografiert sie in leichter Untersicht als aufsteigende Gruppe. Ihre nach links gerichtete Bewegung erzeugt eine Gegendiagonale zu den nach rechts verlaufenden Treppenstufen, der Hintergrund ist stark beschnitten. Die Aufnahme mag die Atmosphäre einfangen, erklärt aber keinesfalls die Tätigkeit bzw. Existenzsituation und spielt vielmehr mit einer Formensprache und Perspektive, die aus der ‚Nouvelle Photographie‘ vertraut sind.
Ausgehend von Aufnahmen Fehers, die zwischen den Grenzen fotohistorischer Kategorien operativ sind, zeigt sich, dass Zuordnungen wie humanistische Fotografie und ‚Nouvelle Photographie‘ weder gegenseitige Ausschlussformeln sind, noch statische Begrifflichkeiten ohne Wechselwirkung mit fotografischen Praktiken. Vielmehr erlaubt eine konkrete Praxis das Aushandeln, Ausloten, Umwerten und Überlagern verschiedener Zuordnungen. Auf Reisen wie auch in Paris komponierte Feher eine Vielzahl von Fotografien an der Schnittstelle zwischen Moderne/Aufbruch und konventionellem Sehen/Traditionshaftung. Sein Interesse am Menschen und an dessen Bezug zur Heimat, Tradition und Natur ist im Großteil seiner Arbeiten nicht zu negieren. Fehers besonderes Gespür für Licht, das ihm Maurice Tabard bezeugt hatte, machte ihn darüber hinaus aber auch für einen abstrakteren Zugang zur Fotografie zugänglich, der sich in einzelnen Reisefotografien widerspiegelt.
So ist es gerade die mögliche Doppellektüre seines Werkes als gleichermaßen traditionsinteressiert und innovativ, die den Reiz seiner Arbeiten ausmacht und weiterführende fotohistorische Fragen aufwirft. In diesem Sinne gilt es zu reflektieren, inwiefern ein Fokus auf künstlerische Ballungszentren wie Paris einer Zentralisierung der Forschung zuarbeitet, die Migrationen und Vermischungen in und aus der Peripherie nur bedingt berücksichtigt. Austauschprozesse, wie sie durch Fotografen auf Reisen und zugereiste Fotografen erfolgen, lassen sich nicht einzig mit dem eingrenzenden Blick eines definierten Zentrums verfolgen, sondern sie gewinnen an Tiefe, indem wir die weiteren mäandernden Bewegungen von Bildern und Bildautor/-innen auf Reisen begleiten. Die Rolle der Fotografie als ein in verschiedenen Publikationskontexten reproduzierbares Medium, das eine vergleichsweise leicht transportierbare Apparatur aufweist und einer Dislozierung des festgehaltenen Gegenstands zuarbeitet[27], ist hierbei maßgeblich, förderte sie doch Austauschbewegungen zwischen verschiedenen Orten, Stilen und Medien.
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[1] Annie-Laure Wanaverbecq: Les photographes d’origine étrangère actifs en France entre 1919 et 1936, Magisterarbeit an der Universität Paris-Sorbonne, betreut von Michel Frizot und Bruno Foucart, Paris 1990, S. 9.
[2] Annie-Laure Wanaverbecq: Les photographes étrangers dans la France de l’entre-deux-guerres, in: Histoire de l'art, Nr. 15,
1991, S. 61–77. Der ungarischsprachige Kollar brach sogar sein Studium in Pressburg aufgrund der resultierenden Sprachbarrieren in der neuen tschechischen Republik ab und zog nach Paris, vgl. auch Cédric Pellin: La chambre dans l’atelier. François Kollar et le travail des artisans (1931-1934), in: Images du travail, travail des images, Nr. 12 (2022), Onlineausgabe: doi.org/10.4000/itti.2483 (eingesehen am 5. Juni 2024).
[3] Floris Neusüss: Das Fotogramm in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Die andere Seite der Bilder. Fotografie ohne Kamera, Köln 1990, S. 447.
[4] Maurice Tabard, zitiert in: Christian Bouqueret, Bauhaus, photographie: rencontres internationales de la photographie, Arles 1983, S. 74.
[5] Christian Bouqueret, La Nouvelle Photographie en France 1919–39, in: Ders., Blandine Chavanne: La Nouvelle Photographie en France, Ausst.-Kat. Poitiers, 1987, S. 9–27, hier: S. 20–22. Thomas Michael Gunther, Marie de Thézy (Hg.): Alliance Photo. Une agence photographique 1934–1940, Bibliothèque Historique de la ville de Paris, 1988. Thomas Michael Gunther: Émeric Feher et l’equipe d’Alliance Photo, in: Françoise Paviot (Hg.): Émeric Feher. À la vie, à l’image, Ausst.-Kat. Angers, Paris 2015, S. 21–24.
[6] Hier sind die Angaben widersprüchlich: Das französische Nationalarchiv datiert die Einbürgerung auf 1939, während ein Anerkennungsschreiben im Besitz der Familie von April 1940 spricht.
[7] Etienne Larouche (der Bruder von Suzanne Larouche, die später René Zuber heiratete und die Agentur ADEP leitete) erwarb das Studio im November 1941, er verheimlichte jedoch bei der Übereignung seine Freundschaft mit Émeric Feher.
[8] Ansätze einer Suche nach Schnittmengen finden sich bei Pierre Borhan: De la nouvelle objectivité à l’humanisme, in: Ders., Jean-Jacques Poulet-Allamagny (Hg.): Émeric Feher photographe, 1904–1966, les travaux et les jours, Paris 1984, S. 12–15 und Christian Bouqueret, (Anm. 5), der sich jedoch auf die namentliche Nennung Fehers beschränkt. Borhan spricht von einer „Assimilation“ und Anwendung von „certaines trouvailles du Bauhaus et de ses amis photographes“, die allerdings von Feher nicht weitergeführt würden, ebd. S. 14.
[9] Belegt sind zahlreiche Ausstellungsbeteiligungen, u.a. 1932–33 in der Maison hongroise in Paris mit Ergy Landau, Rogi André, Francois Kollar und André Steinert, die Ausstellung „Affiche Photo typo“ 1935 mit Pierre Verger, René Zuber und Pierre Boucher sowie 1937 am MoMa New York die Ausstellung „Photography: 1839–1937“, kuratiert von Beaumont Newhall. Feher sei laut Tochter Yvonne stets kontaktfreudig und kulturbegeistert gewesen, besuchte Kinoabende und Fotoausstellungen. Theoretische Schriften haben ihn hingegen weniger interessiert, er sei eher von der Praxis und Technik ausgegangen.
[10] Zu nennen sind hier neben Pierre Borhan, (Anm. 8), und Christian Bouqueret: Des années folles aux années noires La Nouvelle vision photographique en France 1920–40, Paris 1997 vor allem auch der nur auf Ungarisch verfügbare Katalog von Júlia Cserba und Gabriella Cseh: Magyar származású fotográfusok Franciaországban az 1920-as évektől napjainkig, közreműködésével, Budapest 2019 sowie die Publikationen von Françoise Paviot, (Anm. 5), Annie-Laure Wanaverbecq, (Anm. 1 und 2), Marie de Thezy und Thomas Michael Gunther (Anm. 5). Kurz erwähnt wird Feher von Christian Bouqueret, (Anm. 4 und 5), von Quentin Bajac und Clément Chéroux in Voici Paris. Modernités photographiques, 1920–50, Ausst.-Kat. Centre Pompidou, Paris 2012 und von Karoly Kinces Photographes Made in Hungary, Hungarian Museum of Photography, Paris/Budapest 1998, S. 37.
[11] Vgl. Françoise Paviot: Communiquer en images, in: Paviot, (Anm. 5), S. 15–19, und Marie de Thézy: Émeric Feher, photographe humaniste, in: Paviot, (Anm. 5), S. 21–24.
[12] Vgl. Paviot, (Anm. 11), S. 18.
[13] Die Neuauflage von Beaumont Newhall: The History of Photography, from 1839 to present, completely revised and enlarged edition, New York 1982, erwähnt Feher nicht mehr, obwohl der Ungar 1937 bei Newhalls Ausstellung „Photography: 1839–1937“ mit den Fotografien Kind am Strand/Child on Beach, 1936 und Symphonie des Frühlings/Spring Symphony, 1936, vertreten war. In der Erstausgabe Newhalls war Feher zumindest mit einem Satz und mit zwei Abbildungen im Kontext der Candid Photography und handlicher Kameraformate vertreten: „Nora Dumas catches the sincerity of the French peasant with such an apparatus (Plate 60) and Feher had his camera ready when he saw the interesting pattern of the birds and telegraph wires (Plate 63)“, Newhall 1937, S. 76. Generell widmet sich die Forschung Émeric Feher erst ab 1982 konsequenter. In der deutschsprachigen Literatur verweist Floris Neusüss, (Anm. 3), auf Feher, hier S. 344f.
[14] Françoise Desnoyelle, Dominique Versavel (Hg.): La photographie humaniste, 1945–68, Paris 2006. De Thézy, (Anm. 11), sieht bei Feher und der humanistischen Fotografie vorrangig eine „quête des instants de grâce“ mit Fokus auf „personnages typés“.
[15] vgl. Bouqueret, (Anm. 4), und Bajac/Chéroux, (Anm. 10).
[16] Bei der Rolleiflex blickt der Fotograf von oben in den Apparat, ermöglicht durch ein Doppel-Lins-Verfahren mit Rückspiegelung (Twin Lens Reflex). Die ersten Kameras dieser Marke wurden ab 1928 produziert.
[17] Der Nachlass ist teils über Fehers noch lebende Tochter Yvonne, teils über eine Überlassung an die Caisse Nationale des Monuments Historiques (1982) und Ankäufe des Centre Pompidou erhalten. Insgesamt überliefert sind mehr als 17.000 Negative – zum Großteil unveröffentlicht und nicht ausgestellt – sowie einige rare Originalabzüge aus der Zeit des Fotografen.
[18] Der Kontaktbogen ist leicht variiert im Album „FEHER 25–30: Doubs, Drôme, Eure, Finistère et Gard“ im Centre des monuments nationaux (CMN, Hôtel de Sully) rekonstruiert, hier mit den Nummern EF 1807–1817, was Fehers Nummerierung RN1807–13, VE 1814-15 und GR 1816–17 entspricht, während dessen Bildnummer BA 1806 fehlt.
[19] Roger Piault: Bretagne à Livre ouvert. Préface par Charles Le Quintrec, Neuchâtel-Paris 1958, S. 46. Der Text lautet: „On les voit défiler par les routes en longues processions. Ils chantent avec des voix douces et légères le cantique de la Nativité. On croirait, à les entendre, que ce sont les feuilles des peupliers qui bruissent, si, à cette époque de l’année, les peupliers avaient des feuilles. (…) On s’achemine de la sorte vers quelque chapelle abandonnée et en ruines, où ne se célèbrent plus d’autres messes que celles des âmes défuntes.“
[20] 1933 gegründet vom nach Paris migrierten Ungarn Charles Rado – Ra(do)Pho(tographie).
[21] Bouqueret, (Anm. 5), S. 11f.
[22] Sadakichi Hartmann: A plea for Straight Photography (1904) in: Camera Work, Nr. 49/50, Juni 1917, S. 36.
[23] Herbert Molderings: Le combat moderniste. Nouvelle Vision et Nouvelle Objectivité 1919–45, in: Collection photographies, une histoire de la photographie à travers les collections duCentre Pompidou, Göttingen/Paris 2007, S. 95–115.
[24] Florent Fels in: Germaine Krull: Métal, Paris 1928, o. S. (Vorwort). „L'acier transforme nos paysages (…). Les hauts-fourneaux se substituent aux collines. De cet aspect nouveau du monde, voici quelques éléments fixés dans de belles photographies, représentatives d’un nouveau romantisme (…). Les ponts pénètrent dans l’espace. Les trains brisent dans leur fracas la ligne d’horizon. Ils quittent le sol et, dans la progression fatale du progrès, glissent sur l’éther, entraînant les vivants émerveillés vers les gares astrales.“ (Übersetzung A.K.).
[25] Feher beschriftete zwar zahlreiche Abzüge auf deren Rückseite, doch handelt es sich eher um geografische Notizen, Datierungen oder Kategorien, also nicht um Titel im engeren Sinne.
[26] De Thezy, (Anm. 11), S. 21.
[27] Vgl. Astrid Köhler, Déjà-vu-Effekte: Intertextualität und Erinnerung in inszenierter Fotografie, Bielefeld 2017, S. 296–297.
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