Anton Holzer
Langhans lebt!
Ein Fotoatelier und seine große Geschichte
Zuzana Meisnerová Wismer, Lukas Bártl, Robert Krumphanzl (Hg.): The Langhans System. Vol. I: A Photography Studio, Its Archive, Architecture, and Gallery. Vol. II: The Gallery of Eminent Persons, Praha: Pro Langhans, 2024, mit Beiträgen von Lukas Bártl, Zdenek Felix, Ladislav Lábus, Zuzana Meisnerová Wismer, Terezie Nekvindová, Rostilav Švácha, Petra Trnkova, Ladislav Valtr, Filip Wittlich, insgesamt 752 S., 30,5 x 23 cm, zahlreiche Abb. in Farbe und S/W, in Leinen gebunden, Information, Bestellung: https://shop.langhans.cz
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 175, 2025
Am 20. Dezember 2024 wurde in Prag ein Buch vorgestellt, das den vorläufigen Höhe- und Schlusspunkt einer jahrelangen Beschäftigung mit dem wohl berühmtesten Prager Fotoatelier und seiner wechselvollen Geschichte markiert. Die Rede ist vom Atelier Langhans, das knapp eineinhalb Jahrhunderte zuvor, im Jahr 1880, von Jan Langhans (1851–1928) gegründet worden war. Dass dieses gewichtige Buch, das genau genommen aus zwei umfangreichen Einzelbänden (mit einem Umfang von insgesamt über 700 Seiten) besteht, überhaupt erschienen ist, grenzt an ein Wunder. Denn die Geschichte dieses Ateliers war lange Zeit fast vergessen, das Ateliergebäude selbst wurde in der kommunistischen Ära enteignet, der riesige Archivbestand zum überwiegenden Teil entsorgt und die Nachkommen hatten der Fotografie (zwangsläufig) den Rücken gekehrt. Die Geschichte des Ateliers Langhans sollte ausgelöscht werden.
Die lange Geschichte der Wiederentdeckung begann nach dem politischen Umbruch im Jahr 1989. Zuzana Meisnerová Wismer, eine Nachkommin der Familie Langhans, lebte damals zusammen mit ihrem Mann Rolf Wismer in der Schweiz. Sie erinnert sich daran, dass die Nachrichten von einer möglichen Restitution überraschend kamen. Dann, im März 1991, war es soweit. Die Familie Meisner Langhans, die im Januar 1949 enteignet worden war, erhielt ein schmales, mehrstöckiges Gebäude in der Prager Vodičkova Straße 37, einer mondänen und geschäftigen Seitenstraße des Prager Wenzelsplatzes, zurück. Das ehemalige Atelierhaus des Fotografen Jan Langhans (siehe Abb.), des Urgroßvaters vonZuzana Meisnerová, war, wie Aufnahmen aus dieser Zeit zeigen, in einem höchst desolaten Zustand. Zuzana Meisnerová und ihr Mann hätten das Haus veräußern können. Damit wäre die Geschichte Langhans endgültig zu Ende gewesen.
Die beiden entschieden sich für einen ganz anderen Weg. Den Ausschlag hat wohl ein unerwarteter Fotofund in einem versteckten Winkel des Hauses gegeben. In zwei verstaubten Holzschränken fanden sich alte, jahrzehntelang vergessene Glasplattennegative, es war der Rest des legendären, hunderttausende von Aufnahmen umfassende, Langhans-Archivs, das in kommunistischer Zeit entsorgt wurde – auf einer Mülldeponie am Rande Prags. Durch Zufall blieben zwei Schränke und ihr Inhalt unversehrt. Es stellte sich heraus, dass diese Aufnahmen, knapp 10.000 an der Zahl, nicht irgendwelche Bilder waren, sondern jene, die als der Firmengründer und seine Nachfolger, der Schwiegersohn Viktor Meisner und später sein gleichnamiger Enkel (1910–1991), besonders sorgsam gehütet hatten. Es handelte sich um eine breite Auswahl von wichtigen Vorzeigebilder, die dazu dienten, Image und Kundenspektrum des Fotoateliers zu repräsentieren.
Zuzana Meisnerová und Rolf Wismer gingen an die Arbeit. Ende der 1990er Jahre wurde mit der Renovierung des Gebäudes begonnen, im August 2002 waren die Arbeiten abgeschlossen. In den folgenden Jahren wurde aus dem ehemaligen Atelier Langhans wieder ein Haus der Fotografie. Im Erdgeschoß mietete sich ein Fotogeschäft und -atelier ein, das bis heute existiert. Von 2003 bis 2011 fand in den – ebenfalls wiederhergestellten – Atelierräumen ein dichtes Programm nationaler und internationaler Fotoausstellungen statt. Hans-Peter Feldmann, Roman Signer, Jacob Hold, Miyako Ishiuchi, Martha Rosler oder Olaf Breuning und viele andere Fotokünstlerinnen und -künstler waren mit ihren Fotoarbeiten bei Langhans zu Besuch. Dazwischen wurden Dokumentarfilmreihen gezeigt und auch ein Überblick über 130 Jahre Fotogeschichte des Atelier Langhans. Auch das erhaltene Fotoarchiv des Ateliers Langhans wurde inzwischen professionell gesichert, die Glasnegative wurden sorgsam restauriert, die Kontexte erforscht und die Bilder in einer Datenbank erfasst. Auf der Website sind sie seit kurzem online auch einem internationalen Publikum zugänglich (www.langhans.cz).
Mehr als ein Viertel Jahrhundert lang haben sich Zuzana Meisnerová und Rolf Wismer mit der Rekonstruktion und Sicherung der verschütteten Familien- und Fotogeschichte beschäftigt. Ohne ihre Zähigkeit, Geschicklichkeit und künstlerische Neigung wäre der Name Langhans wohl aus der Prager, aber auch aus der mitteleuropäischen Fotogeschichte getilgt worden. Nun erfolgt ein vorläufig letzter Schritt der Wiederentdeckung: Mit Hilfe zahlreicher kundiger Autorinnen und Autoren wird in der großen zweibändigen Publikation die Geschichte des Ateliers Langhans erstmals umfassend dargestellt. Erschienen sind die beiden Bücher in ausgesprochen hochwertiger grafischer und fotografischer Gestaltung und in zwei sprachlich getrennten Ausgaben (tschechisch und englisch). Im ersten Band wird der Aufstieg des Fotoateliers detailliert nachgezeichnet, aber auch der Prozess der Wiederentdeckung und Wiedersichtbarmachung des Projekts Langhans wird rekonstruiert: die lange und wechselvolle Geschichte des Ateliers, die Enteignung des Hauses in kommunistischer Zeit, seine trostlose Nachkriegsgeschichte, aber auch die architektonische Revitalisierung des Gebäudes, die Erforschung und Sicherung der Bilder und die jüngere Ausstellungsgeschichte des Hauses.
Im zweiten Band wird ein Querschnitt jener Bilder vorgestellt, die die historische Odyssee des Ateliers überlebt haben. Ergänzt wird diese Auswahl durch weitere Aufnahmen aus europäischen Fotosammlungen, die zeigen, wie sehr das Atelier Langhans einst ein international agierendes Fotohaus war. Langhans unterhielt zeitweise Außenstellen in Marienbad, Pilsen und Budweis und kultivierte über weite Strecken auch eine überregionale und internationale Klientel, nicht wenige der Porträtierten stammten aus der europäischen Hautevolee. Das Ergebnis der beiden Bände kann sich sehen lassen: Langhans hat durch diese Publikation seine Geschichte endgültig wieder zurückbekommen. Die beiden Bücher können aber in Zukunft auch als Referenzwerk für ähnliche Wiederentdeckungen dienen.
Wieso, so könnte man abschließend fragen, trägt diese Publikation eigentlich den Namen „System Langhans“? Die Antwort ist einfach. Das Buchprojekt heißt so, weil Jan Langhans diesen Begriff bereits um die Jahrhundertwende in seinen zahlreichen Werbeanzeigen offensiv gebraucht hatte. Gemeint war damit im engeren Sinne ein selbst entwickeltes System für Aufnahmen bei künstlichem Licht. Der Begriff „System Langhans“ kann aber auch als Überbegriff für die innovative Werbe- und Firmenstrategie und den jahrzehntelangen Erfolg des Unternehmens insgesamt gelesen werden. Der Entrepreneur Langhans verließ sich in der Anwerbung seiner Kunden nicht etwa auf den Zufall, sondern bediente seine vielen Werbetrommeln mit großem Geschick und speiste seine Werbefeldzüge mit sprühenden Marketingideen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts ließ er beispielsweise ein Auto mit dem Werbeschriftzug seines Ateliers durch die Straßen Prags kurven. Sogar Listen mit potentiellen Kunden habe er, so wird berichtet, geführt. Und zwar von jeden, die bisher noch nicht in seinem Atelier zu Besuch gewesen waren.
Die Blütezeit des Ateliers Langhans liegt mittlerweile weit in der Geschichte zurück. Zwar erstrahlt das Gebäude in der Prager Vodičkova Straße 37 in neuem Glanz und die Geschichte des Hauses lässt sich inzwischen auch über die Online-Galerie rekonstruieren. Den Geist dieses Hauses aber kann man heute, aus historischem Abstand, wohl am besten spüren, wenn man in Ruhe durch die vielen ausgezeichnet illustrierten Seiten dieser beiden Bücher flaniert.
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