Katharina Sykora
Foto-Diven
Editorial
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 175, 2025
Dämonische Diven, lückenlose Erscheinungen?
„So sieht die Operndiva aus. Sie ist 23 Jahre alt, sie sitzt auf der Titelseite der Wiener Illustrierten im Hotel Sacher. Wir schreiben Juni 1956.“ Nicht nur für Fotohistoriker*innen klingen diese Sätze vertraut. Sie paraphrasieren den Anfang von Siegfried Kracauers Photographie-Aufsatz aus dem Jahr 1927.[1] Seine Überlegungen zum Verhältnis von Diva und Fotografie lassen sich nicht nur auf Maria Callas, sondern auch auf die anderen Theater-, Film- und Musik-Diven dieses Heftes beziehen. So nutzten auch Sarah Bernhardt, Marlene Dietrich, Barbra Streisand und Grace Jones bewusst das Medium, um berühmt zu werden und zu bleiben. Das komplexe Repräsentationssystem technischer Reproduzierbarkeit stellte eine Herausforderung für die Diven dar. Ihr Ruhm gründete nun nicht mehr ausschließlich auf ihrer überragenden Professionalität und Ausstrahlung auf der Bühne, sondern durch die Fotografie wurden sie noch vor dem Film, dem Radio und der Schallplatte zu Berühmtheiten für einen immens erweiterten Kreis von Adorant*innen, denen sie sich nie direkt gegenübersahen.[2] Anders als die Diven des 18. und frühen 19. Jahrhunderts sahen sich die Foto-Diven daher einer neuen Art des Publikums gegenüber und mussten ihr Verhältnis zu diesem nicht nur mit Impresarios und Managern, sondern auch mit Fotograf*innen und Publikationsorganen unterschiedlicher Genres neu aushandeln. Wer dabei die Deutungsmacht gewann, blieb oft unentschieden.
Siegfried Kracauer beschreibt in seinem Photographie-Aufsatz bereits wichtige Aspekte der medialen Bedingungen dieses neuen Aushandlungsprozesses. „Wer durch die Lupe blickte“, schreibt er dort weiter, „erkennte den Raster, die Millionen von Pünktchen, aus denen die Diva […] und das Hotel bestehen. Aber mit dem Bild ist nicht das Punktnetz gemeint, sondern die lebendige Diva […]. Zeit: Gegenwart. Der Begleittext nennt sie dämonisch; unsere dämonische Diva. Trotzdem entbehrt sie nicht eines gewissen Ausdrucks. Die […] Frisur, die verführerische Pose des Kopfes und die zwölf Wimpern rechts und links – alle von der Kamera gewissenhaft aufgezählten Details sitzen richtig im Raum, eine lückenlose Erscheinung. Jeder erkennt sie entzückt, denn jeder hat das Original schon auf der Leinwand gesehen.“[3]
Kracauer benennt mehrere Widersprüchlichkeiten des Diven-Fotos in der Illustrierten. Die sichtbaren Rasterpunkte auf der Oberfläche lenken unseren Blick auf das Papier als Träger der Fotografie und damit auf deren massenhafte Reproduzierbarkeit. Mag die Diva sich auch als Solitär verstehen, ihr Foto ist keineswegs einzigartig, sondern prädestiniert für seine Vervielfältigung. Die Entauratisierung des Fotos wird durch den massenhaften Zuwachs an Betrachter*innen wettgemacht. Das Raster lässt zudem die ikonische Differenz zwischen Inhalt und Oberfläche, Darstellung und Bild der Diva aufscheinen. Dieser mediale Bruch wird – so Kracauer – jedoch durch die perfekte Anordnung der Punkte überdeckt, die vorgibt, „die lebendige Diva“ analog zur Wirklichkeit abzubilden. Das Raster ist somit der ‚Screen‘, durch den wir in unterschiedlicher Weise auf die Diva blicken können: einmal bewundernd, indem wir wie durch ein Fenster auf die vorgeblich reale Diva schauen und ihr Versprechen wirklicher Schönheit und Perfektion genießen; oder medienreflexiv, indem wir die opake Oberfläche in ihrer Relation zur Darstellung wahrnehmen und uns des Konstruktionscharakters der Diva bewusst werden. Auch im von Kracauer zitierten Textkommentar zur abgelichteten Diva taucht ein scheinbarer Widerspruch auf. Dort wird sie mit den Attributen des Göttlichen wie auch Teuflischen versehen. Beide sind dem Publikum gleich lieb, entstammen sie doch weitgehend dessen Projektionen. Das Divine und Dämonische findet sich nämlich nicht unbedingt im Foto wieder,[4] sondern leitet sich meist von den melodramatischen Rollen der Diven und ihren glamourösen Auftritten in der Öffentlichkeit ab.
Die fotografische und die drucktechnische Bildgebung, die Textkommentare der Zeitschriften und die rezeptionsseitigen Zuschreibungen versetzen die Diva und ihre Imago so in ein Referenzsystem voller Widersprüche. Dass sie sich scheinbar bestens ergänzen, hängt nach Kracauer mit der „Lückenlosigkeit“ des medialen Erscheinungsbildes der Diva zusammen. Die Rasterpunkte überziehen das fotografische Bild und seine indexikalische Referenz mit einer gleichmäßigen zweiten Haut, so dass dem Bild der Diva etwas ‚Reales‘ wie auch von der Wirklichkeit Abgerücktes, ‚Malerisches‘ anhaftet. Letzteres vertuscht den raumzeitlichen Fragmentcharakter der Fotografie und transferiert die Momentaufnahme in eine Sphäre des Überzeitlichen; ein Schachzug, der der Vergöttlichung der Diva zuarbeitet. Die „Lückenlosigkeit“ des einzelnen Diven-Fotos bricht jedoch spätestens mit dem nächsten ikonischen Foto von ihr auf. Denn das Hinzukommen weiterer Aufnahmen zeigt, dass die Diva den Rahmen eines einzigen Bildes sprengt und einer wiederholten Beschwörung ihrer Imago bedarf, um die Adorant*innen zu befriedigen. Die auf Reproduktion zielende Fotografie der Diva trägt so den inneren Widerspruch in sich, vollendetes Bild einer Unvergleichlichen sein zu wollen, das sich jedoch nicht selbst genügt. Aus massenmedialer Perspektive ist diese Dialektik die Stärke der Diven-Fotografie, denn aus ihr ergibt sich die permanente Vervielfältigung des Einzelbildes wie auch die Entstehung immer neuer Foto-Varianten der Diva.
Being Diva, Becoming Diva, Making the Diva
Was ist eine Diva? Schon diese Frage wird kontrovers diskutiert. Die einen sehen in ihr ein räumlich entrücktes, statisches, überzeitliches Phänomen, das ‚nicht von dieser Welt ist‘ und daher nur bewundert oder angebetet werden kann. Andere lenken ihr Augenmerk auf den Prozess des „Becoming Diva“ und betrachten die Perfektion der Diven als Effekt eines Prozesses, der zwischen ihnen und zahlreichen Agent*innen der Kulturindustrie ausgehandelt werden muss.[5] Dabei werden Schnittmengen zwischen Diva, Star und Celebrity offenkundig, die sich aus ihrer Konfiguration aus Körper und Bild, öffentlicher Imago und ‚privater‘ Person ergeben. Mit der Ausweitung der Genres für Diven vom Theater und der Oper auf den Tanz, den Film und die Populärmusik wird die ‚klassische‘ Diva schließlich zur Referenzfigur für Zitationen. So stattet sich Amy Winehouse mit der Imago Sarah Bernhardts aus (siehe den Beitrag von Anja Herrmann), Madonna schlüpft in ein ikonisches Bild Marlene Dietrichs oder Grace Jones zitiert Josephine Bakers ironische Körperüberdehnungen (siehe den Beitrag von Daniel Berndt).
Welchen Anteil aber hat die Fotografie an der Inszenierung der ikonischen wie auch der selbstreflexiven Diva? Alle Diven bewegen sich zunächst in einem vorfotografischen Kontext des Theaters, der Konzertbühne oder des Films, und zwar wortwörtlich, denn als Schauspielerin oder Sängerin sind sie während ihrer Auftritte oder ihres Erscheinens auf der Leinwand in Bewegung. Als statisches Sekundärmedium, das den Auftritten der Diva nachgeordnet ist, setzt die Fotografie hier einen Widerhaken. Das hat unterschiedliche Auswirkungen auf die beiden Konzepte der Diva. So vermag die perfekte Aufnahme einer gelungenen Pose die Aura der Diva auf Dauer zu stellen. Hierzu kann die Lichtsetzung und farbliche Gestaltung sie von ihrem innerbildlichen Umraum isolieren, sie wie ein Juwel in einem abstrakten Etui glänzen lassen und sie durch diese ‚schöne Distanz‘ als Objekt der Adoration von der Sphäre der Betrachter*innen absetzen. Die der Fotografie eigene Loslösung aus dem Zeitfluss, die das Vorher und Nachher der Aufnahme kupiert, unterstreicht das Statische, Statuarische der Göttlichen und macht sie zu jenem Idol, das nach Anbetung verlangt. Wie und wodurch die Diva außerhalb der Fotografie entsteht, negiert diese ikonische Form. In dieser Art Foto zelebriert sich das Medium selbst als perfekten Schrein der Göttlichen und die Fotograf*innen feiern sich als deren Hohepriester*innen.
Diese ‚kultische‘ Diven-Fotografie tendiert dazu, das zweite Konzept des Becoming Diva oder des Making of der Diva außer Kraft zu setzen. Viele Diven thematisieren jedoch im vorfotografischen Raum den Prozess des Diva Werdens und zeigen demonstrativ ihr Spiel mit dem Diventum. Dieses Surplus dient der dramatischen, verschmitzten oder komischen Selbstreflexion und erlaubt der Diva, sich über die Statik und Hermetik als Ikone hinwegzusetzen (siehe den Beitrag von Marc Siegel, Gertrud Koch und Katharina Sykora). Statt vorzugeben, Diva zu sein, erklärt sie sich zur Schöpferin ihrer selbst als Kunstwerk. Die Diva wird hierdurch zur Agentin eines auto-pygmalionischen Akts und in dieser Doppelrolle als Bildnerin und Bild zu einer Art Über- oder Meta-Diva. Der ikonischen Macht und dem indexikalischen Zeugnischarakter, der beschwört, „da, das da ist die Diva!“, setzen die selbstbewussten Diven der Bühne und des Films entgegen: „Seht mich an, wie ich vor Euch und für Euch perfekt die Göttliche kreiere“. Wie aber lässt sich das Making of der Diva ins fotografische Bild setzen? Die britische Fotografin Madame Yevonde (1893–1975) hat dies in ihrer Serie Goddesses versucht. 1935 lud sie nach einem gleichnamigen Themenball der Londoner High Society fünfundzwanzig Damen ein, sich in ihrem Studio erneut in die Kostüme und Posen zu werfen, mit denen sie sich in Diana oder Persephone, Venus oder Minerva verwandelt hatten.
In der Darbietung Aileen Balcons[6] als Minerva ist es vor allem die Kollision der heterogenen Ausstattung und Kostümierung, die einen (selbst)ironischen Unterton ins Spiel bringt. Die billigen Staffageobjekte der ledernen Bücher und der ausgestopften Eule, die für Wissen und Weisheit stehen, der Stahlhelm, der wie ein falsch ausgesuchter Hut der Gesellschaftsdame wirkt, und die schwere Pistole, die ihr fast aus den feinen Händen gleitet, persiflieren das Martialische der römischen Kriegsgöttin. Zugleich kommen durch die Profilstellung und das klare Make-up die klassischen Züge Aileen Balcons zum Tragen und der Kontrast ihres fließenden Goldgewandes mit dem metallisch-grauen Hintergrund erzeugt eine kühle Material- und Farbsymbolik. Diana Guinness hingegen treibt die Überdeterminierung ihrer Venus-Accessoires auf die Spitze, indem sie sich mit einer überdimensionierten Muschel als Nimbus krönt, eine Muschelkaskade von der Schulter herabrieseln lässt und sich mit Perlenkette, -armbändern und -gürtel schmückt. Mit der Neigung des Kopfes und der Geste der Venus pudica, die schamhaft ihre Brust bedeckt, imitiert sie die Venus von Botticelli und kombiniert diese mit der Armhaltung der Melancholie. Anders als beim harten Farb- und Materialkontrast der Personifikation der Minerva entschied sich Madame Yevonde hier für Pastelltöne, die fließend vom Blau des Himmels (Göttin) und des Meeres (Schaumgeborene) in rosé- und lachsfarbene Nuancen (Muschel) übergeht. Madame Yevonde steigert durch ihre auffallenden Farbinterpretationen den Bedeutungsüberschuss und die Artifizialität, die bereits die Selbstinszenierungen der englischen Gesellschaftsdamen prägen. In einer komplizenhaften Symbiose zeigen die Frauen vor und hinter der Kamera so ihr gemeinsames Making of der Foto-Göttinnen.
Madame Yevondes Goddesses lassen sich am ehesten mit den Rollenporträts der Theater-, Film- und Operndiven vergleichen. Auch deren Attitüden, Kostüme und Attribute markieren eine Differenz von Person und Figur und verweisen auf die Bewegung des In eine zweite Haut Schlüpfens. Personenporträts von Diven fehlt diese narrative Komponente. Und doch gelingt es Madame Yevonde auch im Diven-Porträt, einen medialen Kommentar auf das Making of unterzubringen. Die britische Schauspielerin Vivien Leigh, die durch die Hauptrolle der Scarlett O’Hara im Film Vom Winde verweht (USA, 1939) weltberühmt wurde, porträtierte Yevonde drei Jahre vor ihrem großen Durchbruch, der ihr das Attribut der kapriziösen Diva verlieh (vgl. Abb. 2 und 3). Die Fotografin wählte ein klassisches Dreiviertelporträt, das sowohl die feinen Züge von Augen und Mund wie auch die geschwungene Linie von Stirn, Wange und Kinn modelliert. Die Schauspielerin blickt über ihre linke Schulter aus dem Bild. Die Beleuchtung hat Yevonde so gesetzt, dass Reflexe die Augen beleben, die Lippen glänzen und die Haut Porzellan gleicht. Das Spektakulärste ist jedoch die Farbgebung, die die Fotografin in zwei Variationen durchspielt. Vor leuchtend rotem Hintergrund ist Vivien Leighs Bluse einmal in klares Blau, einmal in Flaschengrün getaucht. An den Rändern von Schulter und linkem Arm sowie am Kopf blitzen Streifen der jeweils darunterliegenden Farbschicht auf. Durch die Offenlegung der von Madame Yevonde erfundenen Dreifarbentechnik (three colour carbon prints)[7], die auf der Überlagerung der Primärfarben Gelb, Rot und Blau respektive Grün beruht, bringt sich Madame Yevonde hier selbstbewusst als diejenige ins Bild, die die (künftige) Diva fotografisch ‚einkleidet‘ und zwar von Bild zu Bild in neuen Varianten. Sie verschiebt dadurch die schöpferische Gewichtung. Indem sie wesentlich expliziter als in den ‚Goddesses‘ ihre fototechnische Innovation vorführt und Vivien Leigh ohne narrative, performative oder mimische Referenz auf ihre Rollen aufnimmt, weist sie sich selbst die Schöpfungsmacht der Diven-Imago zu. Und tatsächlich strahlen beide Fotos sowohl starke Gefühle wie auch Glamour aus, nur das diese nicht Verdienst von Vivien Leighs Performance vor der Kamera sind, sondern der kühnen Farbkombinationen Madame Yevondes. Die Ränder der Gestalt verweisen auf die Machart der Farbfotografie, lassen aber zugleich das Schablonenhafte des Verfahrens aufscheinen. Das sollte drei Jahrzehnte später Schule machen, jedoch unter anderen Vorzeichen: in Andy Warhols Serigrafien von Fotos Marilyn Monroes, Liz Taylors oder Grace Jones‘, die nun die massenhafte technische Reproduzierbarkeit der Diven-Fotos offensiv thematisierten.
Die Diva als Störfaktor der Fotografie.
Evokation und Bannung einer aus den Fugen geratenen Figur
Welchen Anteil hat die Diva selbst an ihrer Imago? Während sie im ikonischen Porträtfoto eher das Being Diva thematisiert, zeigt sie im Rollenporträt, das noch näher an ihre vorfotografische Performance anknüpft, das Making of ihrer Imago. In beiden Fällen haben Diven immer wieder versucht, ihr fotografisches Bild vollkommen zu kontrollieren. Dies konnte durch eine Übereinkunft mit den Fotograf*innen während der Aufnahme geschehen, oder auch danach, wenn die Diva korrigierend in die Gestaltung der Abzüge eingriff (siehe den Beitrag von Kristina Jaspers). Diese Kontrolle zu untergraben, war erklärtes Ziel der Paparazzi, gegen deren geraubte Bilder die Diven nur durch Entzug ihrer Person opponieren konnten, wie dies Greta Garbo, Marlene Dietrich oder Maria Callas in höherem Alter taten.
Einige Diven gehen jedoch noch einen Schritt weiter und führen uns die Demontage ihrer Diven-Imago vor Augen, indem sie willentlich die mit ihr verknüpften Konventionen von Schönheit, Souveränität, Race und Gender stören. Sie setzen Grimassen und die groteske Überdehnung des Körpers ein, um die geschlossene Ikonik von Mimik und Gestalt der Diva zu unterminieren. Dabei begeben sie sich auf eine mediale wie ikonografische Gratwanderung, deren Ausgang von der jeweils bildgebenden Macht abhängt. So kann das wutverzerrte Gesicht einer Diva, von einem Paparazzo aufgenommen, wie im Fall von Maria Callas (siehe den Beitrag von Katharina Sykora) zu deren Denunzierung dienen und die Figur der Hysterikerin aufrufen, während die Entscheidung von Grace Jones, den Betrachter*innen frontal, mit weit aufgerissenem Mund die Zähne zu zeigen, den Akt der bildlichen Selbstdestruktion aggressiv wendet und sich ermächtigt, auch ex negativo über die eigene Imago zu verfügen.
Verweigerung, Entzug, Destruktion des eigenen Bildes sind somit die Kehrseite, wenn nicht Steigerung der vollkommenen Kontrolle über das eigene Bild. Daraus resultiert ein – offen ausgetragener – Konflikt um die Hoheit über die Diven-Imago, die zwischen ihr, ihren Produzent*innen, ihrem Publikum und nicht zuletzt ihren Fotograf*innen ausgetragen wird. Nicht immer ist sie dabei Gewinnerin. Der Selbstermächtigung steht daher die Verletzlichkeit der Diva zur Seite. Als Kippfigur zwischen perfektem und gefährdetem Idol steht sie insbesondere im Fadenkreuz der Aushandlungen von Gender. Ihre Selbstermächtigung konnotiert sie als phallische Frau, ihre Verletzlichkeit rückt sie wieder ins Register des traditionell Weiblichen. Immer aber stört sie die Regeln: einmal, indem sie die Versuche anderer, sie ganz nach ihrem Bild zu formen und in dieser Form erstarren zu lassen, konterkariert; das andere Mal, indem sie die Illusion vom ‚natürlichen‘ Weiblichkeitsidol aufdeckt und sich als nach eigenen ästhetischen Vorstellungen selbstgeschaffenes Artefakt zu erkennen gibt. Genau diese Eigenwilligkeit, die die Lücke zwischen Fremd- und Selbsterschaffung offenlegt, wurde den Diven immer wieder als negative Eigenschaft zugeordnet. Sie galten als kapriziös, überspannt, unberechenbar, hysterisch; Adjektive, die zugleich deutlich machen, dass die Eigenmacht der Diva nicht gebändigt werden kann.
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[1] „So sieht die Filmdiva aus. Sie ist 24 Jahre alt, sie steht auf der Titelseite einer illustrierten Zeitung vor dem Excelsior-Hotel am Lido. Wir schreiben September.“ Siegfried Kracauer: Photographie, in: Inka Mülder-Bach (Hg.): Siegfried Kracauer.Schriften 1927–1931, Bd. 2, Berlin 1990, S. 83–98, hier S. 83.
[2] Über diese Neudefinition der Diven seit der Erfindung der Fotografie schreibt Kate Bailey: „This new, experimental art form disseminated her image, ensuring presence, relevance and familiarity to her admirers and initiating a cult of celebrity“, Kate Bailey: Redefining the Diva, in: Dies. (Hg.): Diva. The Couragious. The Visionary. The Fabulous, Ausstellungskatalog, Victoria & Albert Museum, London 2023, 2023, S. 12–61, hier S. 19.
[3] Ebenda.
[4] Das von Kracauer herangezogene Illustriertencover ist nicht eindeutig zu identifizieren.
[5] Die Sicht Elisabeth Bronfens auf die Diva ist beispielsweise dezidiert aus der Perspektive der Bewunderin formuliert. Sie versteht die Diva als Sonderform respektive Steigerung des Stars, die sich durch eine „Authentizität“ auszeichne, die aus der vollständigen physisch-psychischen Verschmelzung von Bühnenfigur und öffentlicher Person resultiert, sowie durch ein Charisma, das allein ihr angehört, von nichts abgeleitet und nicht in Worte zu fassen ist. Vgl. Elisabeth Bronfen: Zwischen Himmel und Hölle – Maria Callas und Marilyn Monroe, in: Dies., Barbara Straumann (Hg.): Diva. Eine Geschichte der Bewunderung, München 2002, S. 43–67, hier insbesondere S. 67. Den anderen Pol nimmt Richard Dyers Studie zum Star ein. Er beschreibt ihn aus ideologiekritischer Sicht als Ergebnis eines jeweils historisch, ökonomisch und soziologisch hochkomplexen Star-Systems, das die Star-Imago aus der Verschmelzung der (Film)Rollen und einer Persona, deren ‚Privatleben‘ als dramatisches „Life-as theatre“ inszeniert wird, schafft. Vgl. Richard Dyer: Stars, London 1998 (Erstausgabe 1979). Weitere Autor*innen richten ihr kulturhistorisches Augenmerk auf die „verletzte Diva“. Sie ziehen Parallelen zu Konstruktionen der Hysterikerin und den christologischen Erzählungen vom Menschengott als Schmerzensmann und Erlöser. Vgl. Silvia Eiblmayr, Dirk Snauwaert, Ulrich Wilmes, Matthias Winzen (Hg.): Die verletzte Diva. Hysterie, Körper, Technik in der Kunst des 20. Jahrhunderts, Köln 2000. Barbara Vinken untersucht gendersubversive Aspekte der Diva anhand von dreizehn Opern und betrachtet sie ausschließlich als Bühnenfigur, die durch die Musik, die Libretti und die Inszenierungen konstituiert wird. Vgl. Barbara Vinken: Diva. Eine etwas andere Opernverführerin, Stuttgart 2023. Der Katalog einer großen Londoner Ausstellung zur Diva zeichnet einen historischen Bogen von den Theater- und Operndiven des 19. Jahrhunderts über die großen Film- und Gesangsdiven des 20. Jahrhunderts bis hin zu den zitationellen ‚Diven nach Diven‘ im Showbusiness des 21. Jahrhunderts. Kate Bailey (Hg.): Diva. The Courageous. The Visionary. The Fabulous, Ausstellungskatalog, Victoria & Albert Museum, London 2023.
[6] Aileen Balcon, geborene Aileen Freda Leatherman, war die Gattin des britischen Filmproduzenten Sir Michael Elias Balcon. Es liegt nahe, dass sie mit der Perfomance und szenografischen Inszenierung fiktiver Figuren vertraut war. The Britisch Council (Hg.): Madame Yevonde. Be Original or Die, London 1998, S. 96.
[7] „Colour carbon prints, also known as tri-colour carbon prints, are handmade pigment and gelatine colour photographs, printed using only three pigments: yellow, red, and blue/green (no black). This pigment transfer process involves three transfers to the final support for a full colour image (hence ‘tri-colour’), Clare Freestone: Yevonde. Life and Colour, London 2023, S. 232.
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