Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Ulrike Matzer

Intim und irritierend

Dietmar Schwärzler (Hg.): Friedl Kubelka vom Gröller – Photography & Film. Zürich: JRP|Ringier (Christoph Keller Editions), 2013, 28,5 : 22,5 cm, 368 S., 348 Abb. in schwarz/weiß, 73 in Farbe, Softcover. Englische Ausgabe mit beigelegter DVD der Edition Index mit einer Auswahl von Kurzfilmen, 64 Minuten, 40 Euro

Erschienen in: Fotogeschichte 131, 2014

Wiewohl Friedl Kubelka seit über vierzig Jahren als Fotokünstlerin und Filmemacherin tätig ist und vor fast einem Vierteljahrhundert ihre Schule für Künstlerische Fotografie in Wien ins Leben rief, ist sie einem breiteren Publikum nicht wirklich bekannt. Ob das ihrer Unangepasstheit und Kompromisslosigkeit zuzuschreiben ist, ihrem Engagement als Medienvermittlerin oder ihrer Rolle als Frau innerhalb eines männlich dominierten Kunstbetriebs, als langjähriger „Frau von Peter Kubelka“ zudem? Jedenfalls waren ihr nach einer Personale im Pariser Centre Pompidou 1980 nur einige wenige Ausstellungen und schmale Kataloge gewidmet. Nach der längst anstehenden Werkschau 2011 im Linzer Kunstmuseum Lentos, die mehrere Fotoserien mit einer Auswahl von Kurzfilmen konfrontierte, sucht die vorliegende Publikation dem nun endlich Rechnung zu tragen. Angelegt als künstlerisch-konzeptuelles Buch in der Edition von Christoph Keller, bildet es zugleich eine gute Grundlage für weiterführende wissenschaftliche Auseinandersetzung und für die internationale Kontextualisierung dieser so eigenwilligen Position. Durchgehend auf Englisch verfasst bietet diese „selektive Retrospektive“, wie der Herausgeber Dietmar Schwärzler sie ganz bescheiden nennt, einiges an unpubliziertem Material, inklusive einer Kompilation von 18 digitalisierten Filmen.

Dass das Selbst- wie Medienreflexive im Zentrum von Kubelkas Schaffens steht, signalisiert bereits eindringlich das Coverbild: Das Porträt der Künstlerin als junger Frau, in dem die gespiegelte Kamera als metonymische Selbstrepräsentation der Fotografin fungiert. Die „unheimliche Ausstrahlung [ihres] kleinen schwarzen Apparates“ suchte sie sich bald zunutze zu machen – als Maske oder Mauer, als Störfaktor oder Statussymbol, als Schmuck oder als Eintrittsbillet in bestimmte Milieus. Wozu andere Menschen sich durch eine Kamera bringen lassen und welche psychologische Funktion sie auch in Bezug auf das Ego auszuüben vermag, treibt sie beim Bildermachen seit je als Frage an.

Im Kontext dieser konzeptuellen Praxis erscheint die Reflexion über den eigenen Namen nur konsequent: Signierte sie ihre frühesten Fotos mit ihrem Mädchennamen Bondy, den sie nach der Heirat mit dem Avantgardefilmemacher Peter Kubelka 1978 als Teil des Doppelnamens beibehalten hatte, so nannte sie sich als Fotografin zunehmend Friedl Kubelka – was sie selbst nach ihrer Scheidung bis heute so praktiziert. Als Filmemacherin dagegen wählte sie 2009 im Zuge ihrer Verehelichung mit dem Psychologen Georg Gröller das Pseudonym Friedl vom Gröller. Daran, an der Kontraktion beider Namen für den Titel der Publikation und an einer bewussten Inkonsequenz in der Verwendung wird das Spiel ersichtlich, mit dem Friedl Kubelka aka vom Gröller die lange Zeit gängige Definition von Frauen über ihre Ehemänner überhöht und als Problem von allgemeiner Dimension thematisiert.

Der Suche einer Frau nach ihrer Identität verdankt sich auch Kubelkas bekanntester Werkkomplex der Jahresportraits, ein Langzeitprojekt, das sie 1972 begonnen hat und seither alle fünf Jahre wiederholt. Anfangs nicht in dieser Dimension geplant, bewog sie der Wunsch nach einer Synchronopse zu dieser metrischen Konzeption, in der sie täglich aufgenommene Selbstporträts rasterartig arrangiert. Neben dem Versuch, den eigenen Narzissmus zu überwinden, war ihr die Serie auch Mittel zum Zweck, aus dem verinnerlichten technischen Regelwerk auszubrechen. Teils unscharf oder schlecht belichtet rückte und rückt sie sich in allen Lebenslagen ins Bild, häufig in häuslichem Umfeld, allein oder im Beisein anderer, unaufgeräumt und übellaunig, halb nackt oder ganz. In den Tagesportraits, die im Viertelstundentakt entstanden, wandte sie diesen Aufnahmemodus auf ihr nahe stehende Menschen wie Franz West oder Heidi Harsieber an. Spezifisch für Kubelkas streng konzeptuelle Vorgangsweise sind ihre eigene physische Präsenz innerhalb des fotografischen Settings und die damit einhergehende psychische Intensität.

Friedl Bondys Werdegang gleicht dem vieler österreichischer FotografInnen ihrer Generation: Nach einiger Phase unglücklicher Berufstätigkeit entschied sie sich mit 21 Jahren für eine Ausbildung an der Wiener Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt, die damals, Mitte der 1960er Jahre (und noch lange darüber hinaus), als einzige Institution von staatlicher Seite diese Möglichkeit bot. Auch wenn ihr der dort vermittelte handwerkliche Professionalismus in vieler Hinsicht hilfreich war – von 1971 bis 1977 betrieb sie ihr eigenes Porträtatelier –, wandte sie sich doch bald radikal von den Konventionen des Gewerbes ab. Ihre seit den späten Sechzigern entstandenen Modeaufnahmen bezeugen denn auch den experimentellen, subkutan sexualisierten Blick der jungen Fotografin. Angeregt vom damals stilprägenden deutschen Jugendmagazin twen und dessen dank Willy Fleckhaus bildgestalterisch innovativem Erscheinungsbild wagte sie zunehmend, ihren eigenen, sehr freimütigen Zugang zur Porträtfotografie zu formulieren. Vielmehr als Bildnisse von Individuen denn als Inszenierungen von Mode und ihren Accessoires wirken nämlich die Auftragsbilder, für die Friedl Bondy meist auch FreundInnen als Modelle engagierte. Mangels eines Studios und entsprechenden Equipments fanden die Aufnahmen im Freien oder in öffentlichen Räumen statt, etwas linkisch immer, in ihrer vorgeblichen Unzulänglichkeit und Naivität durchaus provozierend. Damals nicht selten von ihren Auftraggebern als „zu extrem“ abgelehnt, wirken die bisweilen verstörenden Bilder heute erstaunlich zeitgemäß. Gern hätte Friedl Kubelka als Modefotografin gearbeitet, sie vermochte jedoch nicht, die von Kundenseite gewünschten Anforderungen zu erfüllen. Aus diesem Unbehagen und der Neugierde, zu sehen, wie es anderen durchaus gelungen war, ihren eigenen Stil gegen bestimmte Konventionen durchzusetzen, organisierte sie 1990 an der Hochschule für angewandte Kunst die äußerst erfolgreiche Vortragsreihe „Modephotographie und/oder Kunstphotographie“, wo etwa Oliviero Toscani, Bettina Rheims, Sarah Moon und F. C. Gundlach referierten.

Vom dekonstruktivistischen Potenzial ihrer Fotografien zeugt auch die 1973/74 entstandene rotschummrige Serie der Pin-Ups, für die sie sich in Pariser Stundenhotels schlich – vorgebend, der Mann käme noch nach. Getrieben vom erotischen Kitzel und einer gewissen Obsession, ihre eigene Softporno-Strecke aufzunehmen und sie in Männermagazinen wie Playboy oder Lui zu publizieren (wozu es leider nie kam), inszenierte sie sich in der Boudoir-Atmosphäre in schwarzen Dessous. Die Spiegel an den Wänden und am Plafond gestatten ihr das Kokettieren mit der eigenen körperlichen Attraktivität aus gleichermaßen exhibitionistischer wie voyeuristischer Position. Über die stets vor das Gesicht gehaltene Kamera und eine Bildstruktur, die minimal vom Genreüblichen divergiert, opponiert sie gegen ebendieses. Das im Zuge der damaligen zweiten Welle der Frauenbewegung entwickelte konzeptuelle Vokabular zugunsten einer neuen Körperpolitik leitete sich von Methoden strukturalistischer Sprachwissenschaft und der Psychoanalyse ab. Die von einer psychoanalytischen Ausbildung flankierte, vorwiegend um das Porträt zentrierte künstlerische Praxis Friedl Kubelkas ließe sich so gesehen über feministisch-repräsentationskritische bzw. filmtheoretische Texte wie jene von Laura Mulvey noch viel präziser konturieren.

Diesbezüglich wertvolle, anregende Vorarbeit leisten Melanie Ohnemus und Andréa Picard in ihren luziden Textbeiträgen im Buch, das ein sehr persönliches, ja unverblümtes Gespräch von Dietmar Schwärzler mit Friedl Kubelka / vom Gröller rundet. „Je älter ich werde, desto weniger verstecke ich mich“, meint diese an einer Stelle. Insbesondere gilt das für ihre meist nur zwei, drei Minuten langen Filme, in denen sie von vornherein eine wesentlich saloppere Haltung kultivierte. Die Aufnahmen ließen sich als Séancen sehen, in denen das Medium Film als solches in Erscheinung tritt. Irgendwann begann sie selbst als Kamerafrau mit den vor dem Objektiv Platzierten zu interagieren, überfallsartig teils und impulsiv, durch eine Ohrfeige, einen Kuss, ein kurzes sich-an-die-Wange-Schmiegen – was je entsprechende Regungen der Mimik evoziert. Jüngst lud sie, mittlerweile 60-jährig, ihr unbekannte Männer mahgrebinischer Herkunft in ihr Pariser Appartement, um deren jeweilige Reaktion auf ihren spontanen Striptease aufzunehmen. Den Gipfel anarchischen Humors erreicht sie wohl in Passage Briare (2009), wo sie sich schäkernd zu einem Ganoventyp gesellt, dann so unverhofft wie ungeniert ihren Zahnersatz erst aus dem Ober-, dann aus dem Unterkiefer nimmt und sich, sichtlich amüsiert, in die Mundhöhle blicken lässt: Wer nicht mit ebensolcher Haltung älter werden möchte!

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