Joachim Sieber
Arbeiterfotografie. Kulturelle Alltagsbräuche als politisches Mittel der Agitation
Wolfgang Hesse: Körper und Zeichen. Arbeiterfotografien aus Dohna, Heidenau und Johanngeorgenstadt 1932/33. Bausteine aus dem Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde 24, Dresden: Thelem, 2013. 15,8 x 23 cm, 269 S., broschiert, ca. 200 S/W-Abb., Deutsch, 29,80 Euro
Erschienen in: Fotogeschichte 131, 2014
Die Arbeiterfotografie genießt besonderes in Deutschland seit einigen Jahren wieder ein verstärktes Forschungsinteresse. Der Herausgeber der Quartalszeitschrift Rundbrief Fotografie, Wolfgang Hesse, legt nun im Rahmen des DFG-Projekts »Das Auge des Arbeiters. Untersuchungen zur Arbeiterfotografie der Weimarer Republik am Beispiel Sachsens« eine fokussierte Fallstudie zur Arbeiterfotografie vor. Die Publikation überzeugt durch eine volkskundlich und fotohistorisch breit abgestützte Grundlagenforschung, die anhand der Lebenswirklichkeit der proletarischen Arbeiterfotografen aus Dohna, Heidenau und Johanngeorgenstadt das Wechselspiel zwischen »Dokument« und »Inszenierung« der Arbeiterfotografie erörtert. Der Autor setzt sich zum Ziel, die Arbeiterfotografie, die zwischen privatem Alltag, politischem Handeln und aktivem Widerstand steht, anhand einer fotohistorischen Untersuchung der Motive, ihrer Entstehungsgeschichte, der Bildformen und Nutzungsweisen, ihre Publikation und Rezeption zu rekonstruieren und dabei ihre auch widersprüchlichen Bedeutungs- und Wirkungszusammenhänge zu erörtern.
Ausgehend von einem Dachbodenfund von Kleinbildfilmen und Glasnegativen, die in einer detailliert nachgezeichneten, detektivischer Recherche einem KPD-Sympathisanten aus Heidenau zugeschrieben werden, spannt Hesse einen weiten Bogen der Vielfalt der Arbeiterfotografie aus Ortsgruppen der Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands (VdAFD) in Sachsen unmittelbar am Ende der Weimarer Republik und am Vorabend der Herrschaftserrichtung der Nationalsozialisten. Dabei wird aufgezeigt, dass gerade Arbeiterfotografien zumeist in einer »polystilistischen Praxis« (185) entstehen, wo Bildformen älterer wie aktueller Bildpraktiken gleichwertig nebeneinander vorkommen – etwa die Würdeformen der traditionellen Totenaufbahrungen neben der Polizeifotografie. In einem Prozess der mediale Durchdringung des Alltags fotografischer Brauchhandlungen gerieten so etwa Postkarten einer Beerdigung aus dem sozialen Umfeld der unmittelbar agierenden Personen in die medienpolitischen Zusammenhänge der visuellen Agitation.
Am Beispiel von Totenbildern weist Hesse daraufhin, dass es gegenläufigen Inszenierung seitens der Forderungen der KPD-Funktionäre, die eine Modernisierung der Pressepolitik forderten, und der Alltagspraxis der Arbeiterfotografen gab. Die eine Traditionslinie findet sich in der noch nicht aus der Öffentlichkeit verdrängten Aufbahrungspraxis im häuslichen Bereich oder der Leichenhalle und der privaten Erinnerungsfunktion von Totenaufnahmen. Die andere besteht im Totengedenken als emotionales Argument ausgehend von Karl Liebknechts Ermordung 1919 in der Agitation der KPD als sakralisierende Konstruktion der Toten als »Unsterbliche Opfer« (169), wie dies etwa in der Wochenzeitung »Illustriertes Volksecho« manifestiert wird. Offenbleibt dabei, ob erstere von Hesse als »Dokumente« beschriebene Fotografien extra aus den politischen Gegebenheiten zur Täuschung gemacht wurden oder nicht. Der zentrale Punkt in der Argumentation ist, dass die Fotografien in politisch neutralem Alltagshandeln entstanden und visuell zugleich zeigend wie verbergend, die politischen Zusammenhänge erst in den illegal verbreiteten Medien wie der Arbeiter Illustrierten Zeitung (AIZ) anhand der abgedruckten Kommentare zum Bild re- bzw. konstruieren wurden (168). Die Fotografien der Johanngeorgenstädter Arbeiterfotografen thematisieren also stellvertretend für viele Ortsgruppen der VdAFD das Problem der Funktionalität der Bilder als ständige politische Erziehungsaufgabe im Sinne einer »Waffe im Klassenkampf« und andererseits manifestieren sie ihren privaten Zweck in der ungeteilten Lebenswelt ihrer Urheber.
Die Bandbreite der politisch unterwanderten Brauchhandlungen veranschaulicht etwa der Leichenzug, einer der wenigen politisch und polizeilich zugelassenen Demonstrationszüge (178-180). Hesse fand auf einer Fotografie einer Grabtragung Menschen, die die Tracht der Vereinigten Kletterabteilung der kommunistischen Naturfreunde trugen und somit in den proletarischen wie den bürgerlichen Alltag eingebundene, mehrdeutige oder zumindest nicht eindeutig offensive Bildcodes (Trachten) verwendeten, um ins eigene Milieu politische Botschaften zu transportieren. Damit war eine Möglichkeit gefunden politische Statements im legalen Rahmen zu äußern.
Wie stehen physisches Handeln und Bildlichkeit zueinander? Wie verbinden sich Körper- und Medienerfahrung der (Bild-)Handelnden (185), fragt sich Hesse mit dem Hinweis, dass die alltäglichen Beziehungen, die mit politisch verwendeten Bildern verbunden waren und ihre intendierten (und nicht intendierten) Auswirkungen nach dem Transfer in die Layouts und Montagen der Bildpresse, bisher nicht untersucht worden sind (132). Der Autor kommt dem nun nach und räsoniert, dass das Symbolhandeln der Alltagskultur und die Erfahrungen mit Fotografien die Grundlage der sozialen Interaktion im politisierten Umgang mit Amateurfotografie bilden. Gleichzeitig konstatiert er, dass Bilder in der neuen medialen Welt »entwirklicht« wurden (198). Denn am Schlusspunkt des Bildtransfers stehe die mediale Konstruktion der „Wahrheit“ aus heterogenen Einzelelementen. Zeichnungen wie Layouts, Fotomontagen wie Fotografien, die als Auftragsbilder, Pressebilder und Arbeiterbilder zumeist »konträren Provenienzen« auswiesen, werden zusammen zu einem für die Zeitschrift insgesamt »polygrafischen« Gestaltungsansatz vermengt (125). Dabei spielen die Arbeiterfotografien in ihrer Diversität eine wichtige Rolle, da sie einerseits konventionelle Bildformen übernehmen, Berufsfotografien integrieren und eine charakteristische Mischung aus Alltagsbildern und Bildern des politischen Kampfs aufweisen. Damit sind sie nach Hesse nicht erst im Kontext der Zeitschrift sondern schon vorher Arbeiterfotografien.
Die Publikation wartet nebst gut ausgewählten Bildbeispielen mit einer üppigen Sammlung von zeitgenössischen Zitaten in Zeitschriftenartikeln zur Bildstrategie der (KPD-)Agitation auf, die als Materialiensammlung einen wertvollen Fundus für die weitergehende Forschung bietet. Zu bemängeln ist nebst der Literatur-Versiegelung in den Fußnoten ohne Jahreszahlen, die oftmals keine direkte Unterscheidung zwischen Quelle und Sekundärliteratur zulässt, auch die mangelhafte Bildreproduktion, die ein Lesen der zahlreich reproduzierten Zeitschriftenartikel teilweise unmöglich macht.
Abschließend ist zu erwähnen, dass aufbauend auf den Forschungsergebnissen des dreijährigen DFG-Projekts »Das Auge des Arbeiters« nun zusammen mit Partnerinstitutionen eine Ausstellung erarbeitet, die 2014 in den Kunstsammlungen Zwickau im Rahmen von deren 100-Jahrfeierlichkeiten und dem Käthe Kollwitz Museum Köln während der photokina sowie im Frühjahr 2015 im Stadtmuseum Dresden gezeigt wird.
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