Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Anton Holzer

„Herrn Pfemfert kennen wir ja alle“

Revolution und Fotografie – ein unbekanntes Kapitel deutscher Kultur- und Fotogeschichte

Eckhardt Köhn: Franz Pfemfert als Fotograf, Fotofalle 5, Engelrod/Vogelsberg: Edition Luchs 2023, 164 S., 25,5 x 18 cm, zahlreiche Abb. in S/W und Farbe, kartoniert, 32 Euro.

Information und Bestellung: edition.luchs@gmx.de https://www.edition-luchs.de/fotofalle-5

 

Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 170, 2023

 

Und neuerlich hat die Fotofalle zugeschnappt! Vor knapp zehn Jahren, 2014, ist die erste Publikation der Buchreihe „Fotofalle“ in der Edition Luchs erschienen. Der Fotohistoriker und Kulturwissenschaftler Eckhardt Köhn, der hinter dem kleinen, aber überaus ambitionierten und engagierten Verlagsprojekt steht, stellt Publikation für Publikation, Fotofalle für Fotofalle, vergessene Fotografinnen und Fotografen der deutschen Zwischenkriegszeit vor. Und wie er sie vorstellt! Nicht etwa in Form trockener biografisch-lexikalischer Einträge, die über Ergänzungen bestehenden Wissens nicht hinauskommen. Wenn eine neue Fotofalle erscheint, bedeutet das, dass ein bisher wenig bekanntes Kapitel deutscher Kulturgeschichte unter dem Blickwinkel der Fotografie erfrischend neu ausgeleuchtet wird. Fünf Bände sind bislang erschienen, allesamt sie sie empfehlenswert. Im Fokus der Recherchen von Eckhardt Köhn stehen in der Regel Figuren der Kunst und des gesellschaftlichen Lebens, die seinerzeit oft bedeutsame Rollen gespielt haben, in der Fotografie, aber auch in der Literatur und Kulturgeschichte, später aber in Vergessenheit gerieten. Der Autor ist ein geduldiger und zäher Rechercheur, der sich von den Lücken der bestehenden Forschung keineswegs abschrecken lässt, im Gegenteil: Ihn scheinen Fährten zu reizen, die zunächst ins Nichts führen oder wenig erfolgversprechend anmuten und die praktisch immer viel archivalische Arbeit mit sich bringen. Ausgehend von einigen wenigen schriftlichen Hinweisen, etlichen Zeitungstexten oder einer Handvoll überlieferter Bilder beginnt der Wissenschaftler zu fahnden. Er treibt seine Recherche weiter, so lange, bis er es für notwendig hält, eine neue Ausgabe der „Fotofalle“ herauszubringen.

Die jüngste Publikation ist „Franz Pfemfert als Fotograf“ gewidmet. Als Literat und politischer Intellektueller ist Franz Pfemfert (1879–1954) wohlbekannt, er war der langjährige Herausgeber der expressionistischen Zeitschrift Die Aktion, die von 1911 bis 1932 erschien. Bereits 1916 schrieb Hugo Ball in einem Brief: „Pfemfert kennen wir ja alle.“ Tatsächlich war Pfemfert von den 1910er bis in die frühen 1930er Jahre als schillernde Persönlichkeit der linken deutschen und Berliner Künstlerszene bekannt. Während des Ersten Weltkriegs hatte er DieAktion geschickt an der Zensur vorbeinavigiert, ohne auf den Anspruch der Verbreitung oppositioneller und auch antimilitaristischer Botschaften zu verzichten. Nach Kriegsende stürzte sich der linke Intellektuelle mit Sympathien für den Linkssozialismus, Syndikalismus und Anarchismus publizistisch mit aller Kraft in das politische Getümmel der Umbruchszeit. Die publizistische Unterstützung der Kommunisten gab er bald auf, in den 1920er Jahren geriet er politisch und editorisch immer stärker zwischen die Stühle der zersplitterten und geschlagenen Linken. Dazu kamen gesundheitliche Probleme. Die als Ein-Mann-Betrieb geführte Zeitschrift DieAktion erschien ab 1927 nur mehr unregelmäßig, verlor sukzessive an Leserschaft und wurde schließlich 1932 eingestellt.

Über Pfemfert, seine Zeitschrift, seine Texte und seine Rolle als Drehscheibe expressionistischer und linker Kunst und Politik wurde viel geforscht und ausgiebig geschrieben. Umso erstaunlicher ist es, dass eine Facette aus dem Lebenswerk dieses umtriebigen deutschen Intellektuellen bis heute fast keinen Niederschlag in den Analysen gefunden hat: seine Rolle als Fotograf, aber auch seine Verwendung des Mediums Fotografie als politische und argumentative Waffe im publizistischen Kampf. Beide Aspekte werden in der jüngsten Publikation von Eckhardt Köhn ausführlich dargestellt. Im ersten Teil des Buches wird Pfemfert im Umfeld der Berliner Avantgarde verortet und seine Haltung der Fotografie und anderen Medien gegenüber genauer beleuchtet. Besonders spannend sind die Ausführungen dort, wo Köhn Pfemferts kritisch zugespitzte Verwendung von „Bildzitaten“ analysiert. In der Tradition von Karl Kraus, der in der Fackel bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit derartigen „Bildzitaten“ ein neues Genre kritischer Bild-Text-Kritik etabliert hatte, begann auch Pfemfert in den 1920er Jahren in der Aktion Pressefotos auszuscheiden und mit neuer, bissiger Betextung auf kritisch-sarkastische Weise mit neuen, oft entwaffnenden Bedeutungen aufzuladen. Dass Pfemferts „Bildzitate“ weniger Wirkung als jene von Kraus zeigten, hat wohl nicht nur mit dem schwindenden Einfluss der von ihm herausgegebenen Zeitschrift zu tun, sondern auch mit der weit geringeren sprachlich-visuellen Raffinesse der Bild-Text-Geschichten und nicht zuletzt wohl auch mit der schlechten Papier- und Druckqualität, die in den reproduzierten Bildbeispielen eklatant zum Ausdruck kommt.

Im zweiten, deutlich umfangreicheren Teil der Publikation, wird Pfemfert als Fotograf vorgestellt. Bereits 1923 hatte er in der Aktion darauf hingewiesen, dass er – nach einem „Kursus bei der unvergleichlich großen Meisterin der Lichtbildnerei, Thea Sternheim“ – in Zukunft auch als Fotograf zu arbeiten gedenke. Er wolle, so kündigte er damals an, das Medium nicht nur sachlich-dokumentarisch nutzen, sondern als Mittel der Kritik, um, wie er schrieb, das „Sturztempo“ der „kapitalistischen Ordnung“ mit der Kamera festzuhalten. Bereits im Ende 1923 druckte er erste eigene Fotografien in seiner Zeitschrift, etwa einen Schnappschuss, der den Reichspräsidenten Ebert auf dem Pferd bei einem Ausritt im Berliner Tiergarten zeigt. Er brachte das Foto auf der Titelseite der Aktion, mit einem sarkastischen Kommentar als Titel: „Weihnachts-Trostbild für SPD-Proletarier“. Pressefotograf wurde Pfemfert freilich keiner, Ende der 1920er Jahre, etwa zu dem Zeitpunkt, als die finanzielle Lage der Zeitschrift immer bedrohlicher wurde, kündigte er (wiederum in seiner eigenen Zeitschrift) an, dass er nun in der Nassauischen Straße Nr. 17 in Berlin eine „Werkstatt für Photographie“ eingerichtet habe. Wie erfolgreich Pfemfert als kommerzieller Fotograf agiert hat, lässt sich aus den wenigen schriftlichen Fragmenten, die überliefert sind, nicht erschließen. Gewiss aber ist, dass er ein ausgezeichneter Menschen- und vor allem Porträtfotograf war. Er nahm die Anregungen der neusachlichen Porträtfotografie, die sich in modernen und avantgardistischen Kreisen in den 1920er Jahren rasch verbreitet hatten, mit großem Eifer auf und schuf zahlreiche eindrucksvolle Porträts.

Es ist ein Vorzug der vorliegenden Publikation, dass sie das wenige erhaltene, weit verstreute und teilweise nicht mehr im Original erhaltene Bildmaterial Pfemferts sammelt, kundig kommentiert und in zahlreichen Bildbeispiele wiedergibt. Zu Pfemferts Porträtkunden zählten unter anderem Karl Kraus, Emma Goldmann, Manga Bell, Gottfried Benn, André Gide, Margarete Schütte-Lihotzky, Rudolf Rocker, Arthur Holitscher, Armando Borghi und viele andere. Ein Teil der Abzüge hat sich im Internationalen Institut für Sozialgeschichte in Amsterdam, im Deutschen Literaturarchiv Marbach, im Schweizerischen Sozialarchiv Zürich, an der Berliner Akademie der Künste, in der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur in Wien, in der Wienbibliothek im Rathaus, im Museum für angewandte Kunst in Wien sowie in diversen Privatsammlungen erhalten. Ein geschlossener fotografischer Nachlass ist freilich nicht überliefert.

Als Franz Pfemfert zusammen mit seiner Frau Alexandra Ende Februar 1933 vor dem nationalsozialistischen Terror aus Berlin und Deutschland flüchtete (ihre Wohnung war zu diesem Zeitpunkt bereits mehrmals von der Polizei durchsucht worden), war seine journalistische Existenz bereits zu Ende gegangen. Die Aktion war im August 1932 eingestellt worden, daher lag es für Pfemfert nahe, auch im Exil auf die Fotografie als berufliches Standbein zu setzen. Im Frühsommer 1933 richtete er zusammen mit seiner Frau im tschechischen Karlsbad ein Fotostudio namens „Dorit“ ein, das den Lebensunterhalt des Paares einigermaßen sicherstellte. Im Oktober 1936 zogen die Pfemferts weiter nach Paris, wo es offenbar, inmitten vieler anderer Emigranten, von denen einige ebenfalls im fotografischen Metier arbeiteten, weitaus schwieriger war, zu überleben. Thea Sternheim, die nun ebenfalls in Paris gelandet war und Kontakt zum Paar hielt, notierte im September 1933 in Bezug auf ihren Freund in ihr Tagebuch: „Graues Trübsal, wohin man blickt.“

Nach Kriegsbeginn musste Pfemfert im Sommer 1940 Paris verlassen. Dass er nach Mexiko ging, war gewiss kein Zufall. Bereits 1938 hatte er Leo Trotzki, mit dem er, vor allem aber seine Frau, die Trotzkis Schriften übersetzt hatte, in engem brieflichen Kontakt stand, angekündigt, dass er mit seiner Frau gleich aufbrechen würde, sollte er „die Einreise nach irgendeinem Land, zum Beispiel Mexiko“ erhalten. In Mexiko City angelangt, begann Pfemfert noch einmal von neuem als Fotograf, zusammen mit seiner Frau eröffnete er das „Estudio Foto Dorit de Paris“. Die finanzielle Lage der Emigranten blieb freilich desolat. Ohne Sprachkenntnisse (Pfemfert sprach weder Französisch noch Spanisch) und ohne Kontakte war das Paar auf Zuwendungen internationaler Hilfsorganisationen angewiesen. Vom Fotografieren konnten sie nicht leben, auch wenn sie große Zugeständnisse an den Massengeschmack des lokalen Publikums machten, wie die persönlichen Aufzeichnungen und wenigen bildliche Zeugnisse aus dieser Epoche zeigen. 1954 starb Pfemfert verarmt in Mexiko City, seine Frau zog im Jahr darauf nach Berlin zurück, wo sie 1963 starb.

Franz Pfemferts fotografisches Werk, das sich von den 1920er Jahren bis 1954 erstreckt, ist, so lautet das Resümee von Eckhart Köhn, nicht bloß ein unbedeutender beruflicher Nebenstrang des schreibenden Intellektuellen, sondern ein zentraler Teil seines Lebens. Pfemferts Fotografieren lässt sich, so Köhn, „als ebenso konsequente wie verzweifelte Anstrengung verstehen, die Gesichter der Gefährten festzuhalten und sie der modernen Bildgeschichte des 20. Jahrhunderts einzuschreiben, die ansonsten von den großen Namen aus Politik, Kultur und Wissenschaft dominiert wird“. So gesehen, ist sein fotografische Werk der Versuch eines revolutionären Einspruchs in Bildern gegen die Verhältnisse. Dass dieser Einspruch zu Lebzeiten Früchte getragen hat, kann man nicht behaupten. Sonst wäre das Werk nicht so vollständig in Vergessenheit geraten.

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