Bücher, kurz vorgestellt
Erschienen in: Fotogeschichte, Heft 153, 2019
Es ist erstaunlich: Obwohl Raoul Hausmann (1886–1971) längst zu den großen Figuren der Avantgarde gehört, ist sein fotografisches Werk – bis auf einige wenige Ausnahmen, etwa einige seiner Fotomontagen – bis heute wenig bekannt. Seine Fotoarbeiten aus der Zeit der späten 1920er und frühen 30er Jahre standen oft im Schatten seines restlichen künstlerischen Werks, bestehend aus Plastiken, Collagen und Gemälden. Nachdem vor einigen Jahren von Bernd Stiegler Hausmanns fototheoretisches Werk mustergültig ediert wurde (Photographisches Sehen, Paderborn 2016), wird nun das fotografische Werk erstmals umfassend vorgestellt. Cécile Bargues benennt in ihrer Einleitung die Gründe für das frühe Vergessen des Fotografen Hausmann, das schon in den 1930er Jahren einsetzte und viel mit den tragischen Umständen seiner Flucht und Vertreibung zu tun hatte. Seit 1933 war der in Wien geborene und seit 1900 in Berlin lebende Hausmann ständig auf der Flucht: Ibiza, Schweiz, Tschechoslowakei, Frankreich. Seine Einreise in die USA scheiterte 1945. 1962 gestand er der MoMA-Kuratorin Margaret Miller, dass er drei Retrospektiven absagen musste, weil er aus der Zwischenkriegszeit kein Material mehr habe. Das Bildmaterial, das sich in der Berlinischen Galerie (für die Zeit bis 1933) und im Musée départemental d’art contemporain in Rochechouart (für die Jahre nach 1933) erhalten hat, wurde nun erstmals zusammengefügt. Sichtbar wird ein großer Fotograf, dessen Porträts, Körperstudien, Landschaften, Architektur- und Stadtszenen bis heute überzeugen.
Erstaunlich genug: Obwohl Bergbau und Fotografie sehr früh zueinander gefunden haben, hat sich die Fotografiegeschichte für dieses Verhältnis lange kaum interessiert. Dabei gäbe es, so zeigt die vorliegende Publikation, Spannendes zu entdecken. Zuallererst fällt ins Auge, dass die Fotografie unter Tage, die nur einen kleinen Teil der besprochenen und analysieren Bilder darstellen, in frühen Aufnahmen praktisch nie im Auftrag der Bergarbeiter, sondern immer im Interesse der Bergwerksbesitzer entstanden. Aus diesem Grund ist der Begriff „Auftragskonzepte“ im Untertitel des Bandes, der aus einer im Mai 2018 von Gisela Parak konzipierten internationalen Tagung an der TU Bergakademie Freiberg (Institut für Industriearchäologie, Wissenschafts- und Technikgeschichte) hervorging, besonders wichtig. Die Autorinnen und Autoren beschreiben, wie Fotografien und fotografische Ensembles vor und nach 1900 als Medien der unternehmerischen Selbstrepräsentation, aber auch als Lehr- und Anschauungsmaterialien – vor allem in Form aufwändig gestalteter fotografischer Alben – Verwendung fanden. Dargestellt wird aber auch, dass die selbstbewusste Inszenierung der technischen Leistungen um 1900 gelegentlich ergänzt und ersetzt wurde durch eine stärker fürsorglich ausgerichtete Selbstdarstellung der Unternehmen. Deutscher Vorreiter dieser Entwicklung war die Firma Krupp, die auf der Pariser Weltausstellung im Jahr 1900 vorwiegend Wohlfahrtseinrichtungen präsentierte. Der europäische Vergleich zeigt, wie unterschiedlich die Strategien und Zirkulationsweisen der Bilder waren. Der Band ist auch als Auftrag zu verstehen, über und unter Tage weiter zu schürfen.
Ein Krokodil am Nil, aufgenommen am 29. Januar 1881. Wer solche Motive fotografierte, hatte, wenn er es nicht in fremdem Auftrag tat, sondern als Hobby, in der Regel Geld. Das besagte Foto stammt von Michael Graf Esterházy, einem österreichischen Adeligen und frühen Amateurfotografen. Zusammen mit zahlreichen anderen betuchten Amateuren war er Teil jener Wiener Fotoszene, die Astrid Mahler in ihrer Publikation am Beispiel des Wiener Camera-Clubs genauer beleuchtet. Die Autorin, die vor Jahren zu diesem Thema dissertiert hatte, legt nun eine fundierte Studie über die Geschichte und die Protagonisten dieses Fotovereins vor, der, 1887 gegründet, um 1900 weit über Österreich hinausstrahlte: als Labor und zugleich Motor für die piktorialistische Richtung in der Fotografie. Diese wurde oft allzu voreilig mit dem Dreigestirn Henneberg, Watzek und Kühn assoziiert. Die Autorin zeigt mittels einer genauen gesellschaftlichen Aufschlüsselung der Vereinsmitglieder sehr anschaulich, dass die Fotoszene deutlich vielfältiger als bisher angenommen war. Auch bisher wenig bekannte Amateurfotografinnen, wie etwa Elsa Angerer, Charlotte Mandl, Helene Neumann, Hertha Klose, Metta Peratoner oder Olga Koncz, werden vorgestellt. Auch sie kamen aus wohlhabendem Hause und firmierten in den Mitgliederlisten des Vereins als „Private“. Besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die rege Ausstellungstätigkeit des Vereins, die zum Gradmesser für die Entwicklung der ästhetischen Programmatik wurde. Der elitäre Verein, der nie mehr als 400 Mitglieder hatte, wurde 1937 aufgelöst. Die Amateurfotografie war inzwischen zum Mainstream geworden, sie taugte nun nicht mehr als gesellschaftliches Distinktionsmittel.
Ein schmales Büchlein mit einer starken These. Wie kommt es, so fragt Steffen Siegel, dass die Geschichte der Fotografie, die schon bald nach 1839 einsetzte, fast ein Jahrhundert lang ziemlich bilderlos geblieben ist? Und wieso kam es in den Jahren um 1930 zu einer veritablen Medienrevolution in der Historiografie der Fotografie? Seit den späten 1920er Jahren nämlich, so der Autor, änderte sich der Status des fotografischen Bildes radikal. Fotografische Illustrationen, die lange Zeit als beiläufig den Texten beigegebene Vignetten Verwendung fanden, wurden nun selbst zum Thema der Betrachtung: zum historischen Objekt und zugleich zum Darstellungsgegenstand, der nicht mehr nur illustrativ, sondern argumentativ – und schließlich auch ästhetisch ausgedeutet wurde. Im leichtfüßigen Duktus eines langen Essays (der, und das ist ein wenig schade, gänzlich auf Fußnoten verzichtet), entwickelt Siegel seine durchaus überzeugende These. Ausführlich diskutiert er die um 1930 einsetzende Hinwendung zum fotografisch illustrierten Fotobuch, das zunächst die Frühzeit der Fotografie ans Licht holte und später zur umfassenden Fotogeschichte in Bildern ausgebaut wurde. Autoren wie Kurt Tucholsky, Walter Benjamin und andere schufen, so der Autor, einen weit über die engen Fachkreise hinausgehend feuilletonistischen Echoraum, in dem diese Bildgeschichten der Fotografie (etwa aus der Feder von Camille Recht oder Helmuth Th. Bossert / Heinrich Gutmann) ihr Publikum fanden. Aufmerksam analysiert der Autor auch die oft raffinierten, oft simplen drucktechnischen und gestalterischen Lösungen der Bilderbücher zur Fotografie. Seine Untersuchung ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Fotogeschichte, sondern auch eine gut und spannend geschriebene Geschichte des historisch argumentierenden Fotobuchs um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Ein Muss für jede anspruchsvolle Fotobibliothek!
Ein Fotobuch, das vor 90 Jahren Geschichte schrieb und eine erst seit kurzem bekannte Fotografin mit einem Schlag ins internationale Rampenlicht katapultierte. Die aus Gera (und aus vermögendem Hause) stammende Fotografin Aenne Biermann (geboren als Anna Sibylla Sternefeld, 1898 bis 1933) war durch und durch Autodidaktin. Mitte der 1920er Jahre wandte sie sich der modernen Fotografie zu, stellte auf Betreiben von Franz Roh, der sie nach Kräften förderte, 1928 zum ersten Mal aus und war schon zwei Jahre später mit einer großen Fotoausstellung in Jena auf dem Höhepunkt ihrer Karriere angelangt. Drei Jahre später, 1933, verstarb sie. Bemerkenswert ist auch das publizistische Umfeld, in dem dieses dreisprachige Publikation 1930 erstmals erschien. Das Buch bildete den zweiten Band einer neuen, von Franz Roh ins Leben gerufenen Fotoreihe im Berliner Verlag Klinkhardt & Biermann, die den programmatischen Titel „Fotothek“ trug und ein Forum für die Fotografie der Moderne und der Avantgarde bilden sollte. Band eins war Laszlo Moholy-Nagy gewidmet, weitere Publikation waren bereits angekündigt: über das Monströse, die Fotomontage, das Polizeifoto, über El Lissitzky, das Sportfoto und 100 Jahre Aktfoto. Keiner dieser Bände wurde realisiert: die ökonomische Lage am Buchmarkt verschlechterte sich nach 1930 rapide, die Strömungen der neuen Fotografie gerieten in die Defensive und ab 1933 herrscht politisch ein ganz anderer Wind. Gut, dass dieser Referenzband der fotografischen Moderne, dessen Kennzeichen nicht zuletzt die spannenden Bildgegenüberstellungen auf den Doppelseiten ist, nun in einer erschwinglichen und durch Hans-Michael Koetzle vorzüglich kommentierten Ausgabe wieder zugänglich ist.
Kurz der Hintergrund dieser Publikation: Nachdem im Oktober 2017 Felix Krämer als neuer Generaldirektor das Museum Kunstpalast Düsseldorf übernahm, überschlugen sich die Superlativ-Schlagzeilen über die Ankaufspolitik des Hauses: Ankauf von 1.823 Fotos aus der herausragenden fotohistorischen Sammlung Kicken um kolportierte acht Millionen Euro (FAZ, 24.12.2018) und dazu eine großzügige Schenkung von Frau Kicken. Ankauf von 76 Bildern der Kriegsfotografin Anja Niedringhaus von der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Letzterer Ankauf bildete den Startschuss für eine vielbeachtete Ausstellung über Kriegsfotografinnen im 20. und frühen 21. Jahrhundert. 140 Werke von acht ausgewählten Fotografinnen (Gerda Taro, Lee Miller, Catherine Leroy, Francoise Demulder, Christine Spengler, Susan Meiselas, Carolyn Cole und Anja Niedringhaus) wurden gezeigt. „Bevor eine Kriegsfotografie an die Öffentlichkeit gelangt, geht sie in der Regel durch die Hände vieler, die nicht unbedingt alle die gleichen Interessen verfolgen“, schreiben Anne-Marie Beckmann und Felicity Korn in ihrem Einleitungstext. Es wäre spannend gewesen, diesen Aspekt, nämlich die Hintergründe des Mediengeschäfts mit Bildern genauer zu untersuchen und auch mehr originale Zeitungs- oder Magazinseiten zu zeigen. Denn an der Schnittstelle zwischen Bilderproduktion und Bildervertrieb und Verwertung hätte sich vielleicht die Rolle der Frauen im Medienbetrieb anschaulicher beschreiben lassen.
Der Warschauer Aufstand, der am 1. August 1944 begann, gilt als zentrale zeitgeschichtliche Wegmarke im Zweiten Weltkrieg. Damals erhob sich die polnische Untergrundarmee gegen die deutsche Besatzungsmacht. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, am 2. Oktober 1944 kapitulierten die letzten Aufständischen. Der ausgezeichnet recherchierte Katalog rückt das Medium der Fotografie in den Fokus und zeigt, mit welchen propagandistischen Mitteln über die Ereignisse auf deutscher und polnischer Seite wurde. Es zählt zu den großen Vorzügen dieser Publikation, dass die deutsche und die polnische Perspektive eng miteinander verschränkt werden. Nach einem einleitenden Aufsatzteil führt der (mit-)Kurator der begleitenden Ausstellung, David Rojkowski, in den dokumentarischen Bildteil ein. Vorgestellt wird nicht nur zahlreiches, bisher kaum bekanntes Fotomaterial, sondern, und das markiert einen weiteren Vorzug dieses Buches, auch die mediale und propagandistische Verwertung der Bilder in der illustrierten Presse, in Flugblättern und Broschüren. Kenntnisreich und überaus differenziert wird so Quellen- und Mediengeschichte der Fotografie betrieben. Fazit: ein historisches Fallbeispiel, betrachtet unter dem Vergrößerungsglas der Fotogeschichte. Wenn zukünftig die Rolle der Fotografie in Krieg und Propaganda beleuchtet wird, wird man an diesem fundierten Katalog wohl nicht vorbeikommen.
Die Zeitschrift, die es hier anzuzeigen gilt, dürften nur wenige FotohistorikerInnen kennen. Das ist schade! Vielleicht liegt die Unkenntnis am literaturwissenschaftlichen Fokus der Zeitschrift, der den FotografiehistorikerInnen zu weit entfernt scheint, vielleicht auch daran, dass ihr unorthodoxes inhaltliches Profil quer zu den akademisch etablierten Fachgrenzen steht. Dabei hätte es genug Zeit gegeben, dieses „Magazin“ – so nennt es sich selbst – kennenzulernen, wurde es doch im fernen Jahr 1986 gegründet. Heft für Heft stellt JUNI Fundstücke, Auslassungen, Vergessenes, Übersehenes, Randständiges und Neu Durchdachtes aus Literatur, Kultur und Politik aus dem frühen 20. Jahrhundert vor. Das jüngste Heft ist für die deutsche Bild- und Mediengeschichte besonders interessant, beleuchtet es doch beispielhaft eine ganze Reihe von Querverbindungen zwischen Literatur, Film, Fotografie, Radio und anderen Massenmedien der Zeit. Die beiden Herausgeber Gregor Ackermann und Walter Delabar begleiten die LeserInnen kundig auf ihren Wanderungen durch die spannenden Text- und Bildfunde. Grafisch und typografisch überaus sorgfältig und abwechslungsreich aufgemacht, bietet das Heft neben (fast) vergessenen Originaltexten und Bildern auch fundierte medien- und kulturhistorische Analysen. Besonders spannend für FotohistorikerInnen sind die Beiträge von Manuel Illi und Walter Delabar. Ersterer stellt ausgewählte Foto-Text-Bücher der Weimarer Republik vor, letzterer liefert einen ausgezeichneten Beitrag zur Genese und Entwicklung der modernen Fotoreportage, indem ihre „narrative Emanzipation“ am Beispiel von frühen Reisepublikationen im Text-Bild-Format nachzeichnet. Fazit: anregend, bestellen!